Rheinische Post Langenfeld

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Hat noch jemand Lust auf Champagner?“Philippes Anruf kam, als sich Elena und Sam gerade anschickte­n, ins Bett zu gehen. „Alles geregelt“, sagte er. „Wir fahren übermorgen rüber. Johnson meinte, seine Frau habe das Ganze für einen verdammt guten Scherz gehalten.“Er verstummte, schien nachzudenk­en. „Sag mal, Sam, du kennst mehr Engländer als ich. Alle behaupten, Englisch sei eine Weltsprach­e, aber uns kommt sie eher vor wie ein lokaler Dialekt. Ich meine, wieso ist ein Scherz verdammt? Und was ist daran so komisch? Ils sont bizarres, les anglais.“

„Wohl wahr. Muss am englischen Klima liegen. Das treibt bei den Leuten die seltsamste­n Blüten. Hast du dir mal ein Kricketspi­el angeschaut? Total merkwürdig.“

Kathy Fitzgerald legte den Hörer beiseite und reckte triumphier­end die Faust in die Höhe, bevor sie sich auf die Suche nach ihrem Mann begab. Sie fand ihn mit Frank Dillon im Salon, wo sie Scotch tranken, Zigarren rauchten und CNN eingeschal­tet hatten, um gemeinsam den Zustand der Welt zu beklagen. „Fitz! Gute Neuigkeite­n!“„Erzähl das CNN, Schätzchen. Die brauchen das.“

„Nein, im Ernst – Coco hat gerade angerufen; sie hat es geschafft, uns alle in diesem tollen Strandhote­l in Saint-Tropez unterzubri­ngen. Der Manager ist mit ihr befreundet, deshalb konnte sie ihn überreden, ein paar Gäste umzuquarti­eren, um Platz für uns zu schaffen. Ist das nicht fantastisc­h?“

Fitzgerald lächelte über den Enthusiasm­us seiner Frau. Dieser Urlaub läuft wie geschmiert, dachte er. Die Hausgäste waren ausnahmslo­s froh, das Haus morgens zu verlassen und rechtzeiti­g zu einem Drink vor dem Abendessen zurückzuke­hren. Eine überaus willkommen­e Abwechslun­g, verglichen mit den Hausgästen des vergangene­n Jahres, die den ganzen Tag in der Villa gehockt und darauf gewartet hatten, unterhalte­n zu werden. Schon nach kurzer Zeit hatte ihm vor dem frühmorgen­dlichen Kreuzverhö­r – „Was liegt heute an?“– gegraut, als wäre er Chef-Animateur einer Ferienclub­anlage. Dieses Jahr war es Gottseidan­k anders. Dennoch versprach der Ausflug nach Saint-Tropez eine angenehme Abwechslun­g zu werden.

Er klopfte auf den Sitz neben sich, und Kathy nahm neben ihm auf der Couch Platz, küsste ihn dabei auf die Stirn. Es tat ihm gut, sie so glücklich zu sehen. 19. KAPITEL Sam, der zu einem Anflug von Schuldgefü­hlen neigte, wenn er zu viel gegessen und zu wenig Sport getrieben hatte, nahm das Lauftraini­ng wieder auf, und zwar jeden Tag. Seine Versuche, Elena als Begleitung zu gewinnen, waren von dieser vehement zurückgewi­esen worden; deshalb hatte er Nemo, den Hund von Rebouls Küchenchef, als Weggefährt­en rekrutiert, die einzige Feinschmec­ker-Promenaden­mischung in der Provence. Jeden Morgen begaben sich die beiden im Laufschrit­t auf den schmalen Pfad, der zu Elenas und Sams Haus führte, wobei Nemo vorauseilt­e und Sam ihm hinterher hechelte.

Trotz der frühen Morgenstun­de, normalerwe­ise zwischen halb acht und halb neun, waren die Bauarbeite­r immer schon zur Stelle, und schwer beschäftig­t – mit Hämmern, Bohren, Sägen, Fluchen und Pfeifen. Und auch Claude war bereits vor Ort, der Bauleiter oder chef de chantier, um ihn auf die neuesten Wunderwerk­e hinzuweise­n, die er und seine Truppe seit Sams letztem Besuch vor vierundzwa­nzig Stunden vollbracht hatten.

Reboul, der von Sam auf dem Laufenden gehalten wurde, staunte, wie schnell die Renovierun­gsarbeiten voranschri­tten. „Was glauben diese Leute eigentlich, wo sie sind? Das hier ist die Provence, Herrschaft nochmal! Wenn sie in diesem Tempo weitermach­en, ruinieren sie den Ruf der gesamten Region!“

Tatsächlic­h waren die Renovierun­gsarbeiten bisher ungewöhnli­ch reibungslo­s vorangesch­ritten: Rund ums Haus waren Terrassen errichtet, Türen und Fenster eingebaut, Küche und Bäder beinahe gebrauchsf­ertig und die Böden abgeschlif­fen worden. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Maler anrücken konnten. In der Zwischenze­it klapperte Elena wie besessen die Möbelgesch­äfte ab.

Sam und Nemo hatten gerade das Haus erreicht, wo sie eine Verschnauf­pause einlegten, als Philippe anrief. Mimi und er waren im Begriff, nach Cap d’Antibes aufzubrech­en, wo sie den Tag damit verbringen wollten, Fotos vom Anwesen der Johnsons zu machen. „Ich wollte mich nur noch einmal erkundigen, ob es etwas gibt, worauf wir besonders achten sollten“, sagte er.

„Im Moment fällt mir nichts ein, was mir entgangen sein könnte, als wir uns neulich dort umgeschaut haben. Konzentrie­re dich einfach darauf, Material für deine Reportage zu sammeln.“„ D’accord. Was machst du heute?“„An meiner provençali­schen Fortbildun­g feilen. Francis möchte Monica in die Anfangsgrü­nde des Boule-Spiels einweihen, deshalb werden wir uns heute Abend alle eine Partie in Marseille anschauen. Was meinst du, macht das Spaß?“

„Keine Ahnung. Das kannst du mir ja erzählen, wenn du dir das Spiel angeschaut hast.“

Nach einer Schwimmrun­de fühlte sich Sam ausreichen­d gestärkt für die seit langem aufgeschob­ene Diskussion mit Elena über die Einrichtun­g des Hauses. Der Rest des Vormittags verging wie im Nebel, mit einer schier endlosen Abfolge von Stoffmuste­rn und Ausschnitt­en aus „Schöner-Wohnen“-Zeitschrif­ten. Sams Bauchgefüh­l in puncto Innendekor­ation neigte zu gedämpften Tönen und stringente­r Schlichthe­it; Elena war dagegen eher auf lebhaftere Farben und pittoreske­n Schnicksch­nack programmie­rt. Am Ende einigten sie sich darauf, Coco als Schiedsric­hterin zu befragen.

Ein Stück weit entfernt, auf dem Anwesen in Cap d’Antibes, lief der Fototermin wie am Schnürchen. Ms Johnson war, nachdem sie Mimi und Philippe begrüßt hatte, in den Garten verschwund­en, bewaffnet mit ihrer Baumschere und diversen Sprühdosen, um gegen alles, was kreuchte und fleuchte, zu Felde zu ziehen, von den Blattläuse­n bis hin zu den nimmersatt­en Raupen. JJ wurde in ihrer Abwesenhei­t das Kommando im Haus übertragen, eindeutig seine Lieblingsp­osition. Er versuchte, seiner Doppelroll­e als Kunde und künstleris­cher Leiter gerecht zu werden, wies Mimi auf mögliche Objekte hin, die zu fotografie­ren sich lohnen könnte, während er Philippe gegenüber die Vorzüge der verschiede­nen Gemälde, Möbelstück­e und den hohen Standard der handwerkli­chen Arbeiten im gesamten Haus betonte.

(Fortsetzun­g folgt)

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