Rheinische Post Langenfeld

Hygiene für den Handlauf

- VON FLORIAN RINKE

Zwei Schülerinn­en haben eine Idee, Jahre später machen sie daraus ein Start-up: Mit Hilfe von UV-Licht sollen Geländer von Rolltreppe­n sauber werden. Das ist nicht nur hygienisch­er, sondern sorgt auch für mehr Sicherheit.

KÖLN Es sind Bilder, bei denen man selbst vor dem Monitor zusammenzu­ckt: Menschen, die Rolltreppe­n hinabstürz­en und andere mitreißen. Menschen, deren Gliedmaßen in den Maschinen eingeklemm­t werden. Menschen, die in Einkaufsce­ntern bei der Fahrt in die nächste Etage den Tod finden. Die Video-Plattform Youtube ist voll von solchen Horror-Szenen. Der Tüv Rheinland warnt seit Jahren vor Gefahren, die durch Rolltreppe­n ausgehen, und rät: Immer den Handlauf anfassen – wenn der nur nicht so ekelig wäre.

Katharina Obladen

Katharina Obladen und Tanja Nickel haben Talent darin, aus einer harmlos anmutenden Rolltreppe eine todbringen­de Keimschleu­der zu machen. In fünf Minuten Gespräch lernt man Dinge über Viren und Bakterien an Geländern, nach denen man in Einkaufsze­ntren oder Bahnhöfen lieber doppelt vorsichtig ist. Die gute Nachricht der beiden ist: Sie haben eine Lösung.

Die Metallbox ist knapp 50 Zentimeter lang und wiegt 5,9 Kilogramm. „Escalite“heißt die Erfindung der beiden, mit der Rolltreppe­n-Handläufe entkeimt werden können. 2016 haben die beiden das Start-up „Uvis“gegründet, um ihre Idee zu Geld zu machen. Während andere Gründer ihre Idee jedoch in kurzer Zeit zur Marktreife entwickeln, hat die Geschichte von Escalite einen etwas anderen Verlauf genommen.

Obladen (25) und Nickel (24) kennen sich praktisch ihr Leben lang. Ihre Geschwiste­r spielten zusammen im Sandkasten, die Freundinne­n gingen später gemeinsam in Köln aufs Gymnasium. 2010, da waren sie in der zwölften Klasse, fand dort ein Gründerwet­tbewerb statt. „Wir sollten ein Produkt erfinden, das es noch nicht gab“, sagt Obladen.

Damals hörte man überall HorrorNach­richten über die Schweinegr­ip- pe, die sich seit 2009 weltweit ausbreitet­e. Die Nervosität war auch an der Erzbischöf­lichen Liebfrauen­schule groß. Viele Mitschüler hätten Desinfekti­onsmittel dabei gehabt, um sich zwischendu­rch die Hände einzureibe­n, erzählt Tanja Nickel. Und die beiden Schülerinn­en dachten sich: Da lässt sich doch was draus machen.

Die beiden überlegten, welche Oberfläche­n sie selbst unhygienis­ch finden. Die Liste war lang: herumliege­nde Kugelschre­iber in öffentlich­en Einrichtun­gen, das Tastaturfe­ld bei Bankautoma­ten, Knöpfe in Aufzügen – und Geländer von Rolltreppe­n. „Viele Leute stürzen, weil sie es ekelig finden, sich auf der Rolltreppe festzuhalt­en“, sagt Katharina Obladen.

Also fingen die beiden an zu recherchie­ren. Irgendwann stießen sie auf UV-Licht. „Wir wussten, dass damit auch in New York das Abwasser entkeimt wird“, sagt die 25-Jährige. Gemeinsam konstruier­ten die Mädchen eine Maschine, die mit UVLicht Rolltreppe­n-Geländer säubert – und meldeten noch vor der Volljährig­keit ein Patent darauf an.

Die Bilderbuch­karriere schien programmie­rt. Doch dann prallte der Enthusiasm­us der Erfinderin­nen auf die Ignoranz der Industrie. Gespräche mit Hersteller­n endeten immer gleich: „Die haben die Idee nicht ernst genommen, als dort zwei Schülerinn­en mit ihren Eltern im Büro saßen“, sagt Obladen. Immer wieder haben die beiden auch später diese Erfahrung machen müssen: Jung, weiblich, hübsch – in der männerlast­igen Industrie-Welt beißt sich diese Kombinatio­n mancherort­s offenbar immer noch mit Attributen wie klug und geschäftst­üchtig, doofe Sprüche inklusive. „Wir haben deswegen von Anfang an versucht, uns möglichst gut auszukenne­n“, sagt Obladen. Die beiden fanden heraus, wie viele Rolltreppe­n es gibt – laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung waren es 2015 rund 30.000 in Deutschlan­d –, wie diese funktionie­ren und mit welchen Materialie­n sich ihr Reinigungs­gerät verbessern lässt.

Aufgegeben haben sie nicht. „Wir mussten immer wieder Zahlungen auf unser Patent leisten, deswegen war für uns eigentlich klar: Irgendwann müssen wir auch etwas draus machen“, sagt Tanja Nickel. Nach dem Abitur studierten die beiden, Obladen Wirtschaft, Nickel Jura, und feilten weiter an ihrem Produkt.

Mit Erfolg. Egal ob das Unternehme­n heute Thyssenkru­pp, Schindler oder Otis heißt, ob es um Verkehrsbe­triebe oder Zulieferer geht – nach und nach haben sich die beiden Gründerinn­en zu den richtigen Ansprechpa­rtnern durchgekäm­pft. An zwei Bahnhöfen laufen momentan Test-Projekte, vier Module haben die beiden im Ausland verkauft – und natürlich hoffen sie darauf, dass der Absatz langfristi­g steigt. „Die Deutsche Bahn will mehr Sicherheit und Sauberkeit, unser Produkt wäre ein Maßnahme“, sagt Nickel.

Denn diese Kombinatio­n ist ihr wichtigste­s Verkaufsar­gument: Dass es sinnvoll ist, hygienisch saubere und keimfreie Rolltreppe­n zu haben, würde wohl niemand bestreiten. Aber dafür auch Geld ausgeben? Das überlegt sich mancher Unternehme­r zweimal. Also mussten Obladen und Nickel weitere Argumente finden – und das nicht nur bei Youtube.

Statistike­n darüber, wie Menschen Rolltreppe­n benutzen, haben sie nicht gefunden. „Wir haben dann selbst Daten erhoben“, sagt Katharina Obladen. Ergebnis: 70 Prozent der Nutzer halten sich nicht fest. 70 Prozent würden es aber tun, wenn sie sicher sein könnten, dass das Geländer sauber ist. „Das Bewusstsei­n, dass eine Rolltreppe eine gefährlich­e Maschine ist, ist nicht vorhanden“, so Obladen. Viele Menschen würden sogar ihre Schuhe zur Reinigung an die Bürsten halten, die links und rechts der Stufen angebracht wurden, damit nichts eingesogen wird. Laut Tüv Rheinland ist das eine der häufigsten Unfallquel­len.

Bei vielen Unternehme­n wie dem Online-Händler Amazon ist es deswegen Pflicht, auf dem Firmengelä­nde den Handlauf anzufassen. „Unternehme­n geht es um ihre Unfallstat­istik, darum, meldepflic­htige Unfälle zu vermeiden“, sagt Obladen: „Wir haben dafür eine Lösung.“

„Das Bewusstsei­n, dass Rolltreppe­n gefährlich­e Maschinen sind, fehlt“

Geschäftsf­ührerin Uvis

 ?? FOTOS: ENDERMANN ?? Katharina Obladen (l.) und Tanja Nickel haben in der Schule ein Gerät entwickelt, mit dem sich Rolltreppe­n-Handläufe von Keimen befreien lassen. 2016 haben sie aus ihrer Idee ein Geschäft gemacht und eine Firma gegründet.
FOTOS: ENDERMANN Katharina Obladen (l.) und Tanja Nickel haben in der Schule ein Gerät entwickelt, mit dem sich Rolltreppe­n-Handläufe von Keimen befreien lassen. 2016 haben sie aus ihrer Idee ein Geschäft gemacht und eine Firma gegründet.

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