Rheinische Post Langenfeld

Bayers Sehnsucht nach Harmonie

- VON DORIAN AUDERSCH

In der Saison 2016/2017 hatte die Werkself reichlich Sand im Getriebe. Vieles, was in den Vorjahren noch gut funktionie­rte, ging gründlich daneben. Neben den sportliche­n Ursachen gab es einen weiteren wesentlich­en Faktor: anhaltende Unruhe im Umfeld.

LEVERKUSEN Während sich der VfL Wolfsburg im Hinspiel der Relegation nun zu einem 1:0-Erfolg gegen Eintracht Braunschwe­ig quälte, genossen die Profis der Werkself bereits ihren Urlaub. Die Tage der Ruhe dürften eine Wohltat sein. Beinahe hätte Bayer 04 das Schicksal der Niedersach­sen ereilt, aber das dünne Punktepols­ter reichte letztlich aus, um das Nachsitzen beim Klassenerh­alt zu vermeiden. Um einen Fakt kommen die Verantwort­lichen um Sportchef Rudi Völler dennoch nicht herum: Es war die schlechtes­te Bundesliga-Saison seit 2003. Die Gründe dafür sind mannigfalt­ig.

Neben den hinlänglic­h analysiert­en sportliche­n Ursachen gibt es eine weitere: anhaltende Unruhe. Nachdem Ex-Trainer Roger Schmidt nach zwei gelungenen Qualifikat­ionen für die Champions League in den Vorjahren die beste Saison unter seiner Ägide ankündigte, blieben die Ergebnisse aus. Das sorgt per se für Störungen im Umfeld – bei jedem Verein. Hinzu kamen jedoch einige Nebenkrieg­sschauplät­ze, die in der Summe alle ihren Teil zur Misere beitrugen.

Schmidt leistete sich etwa einen weiteren Eklat, als er seinen Hoffenheim­er Kollegen Julian Nagelsmann hörbar für alle TV-Mikrofone an der Seitenlini­e anpöbelte. Die Folge war eine Sperre für den Coach, der wegen ähnlicher Vergehen bereits auf Bewährung war. Das peinliche Pokal-Aus gegen den Drittligis­ten Lotte konnte Schmidt daher nur hilflos im Mannschaft­sbus bestaunen.

Ein paar Wochen später kochte die Entlassung des Athletik-Trainers Oliver Bartlett hoch, der dem Vernehmen nach bei der Mannschaft ex- trem unbeliebt, aber auch ein Intimus von Schmidt war. Der wiederum bedauerte die Entlassung mehrfach öffentlich – nicht das einzige Indiz für einen Dissens in der sportliche­n Leitung, die sich trotz allem bis zuletzt vor den Trainer stellte und erst die Reißleine zog, als die Saison komplett z u entgleiten drohte.

Dass dieses Szenario dennoch eintrat, hat einen weiteren den Saisonverl­auf nicht gerade positiv beeinfluss­enden Grund: den mehr oder weniger offen ausgetrage­ne Konflikt mit den eigenen Fans. Seinen Anfang nahm der Zwist wohl vor rund zwei Jahren in Frankreich. Bei einem Auswärtssp­iel gegen Paris St. Germain fühlten sich Anhänger der Werkself von der französisc­hen Polizei drangsalie­rt. Ihrer Meinung nach sprang der Klub – allen voran Geschäftsf­ührer Michael Schade – den Fans nur ungenügend zur Seite. Im Laufe der Zeit eskalierte der Streit nach einigen Scharmütze­ln immer weiter. Stadionspe­rren, Verbote von Choreogra- phien, Einsatz von Pyrotechni­k, und Geldstrafe­n gegen Ultras führten zu weiteren Dissonanze­n.

Seinen Tiefpunkt erreichte der Konflikt unmittelba­r vor dem Heimspiel gegen Mönchengla­dbach. Bei Pyro-Attacken aus der Nordkurve wurden eine Ordnerin und ein Kameramann verletzt. Von außen abgefeuert­e Leuchtsign­alraketen segelten siedend heiß an Fallschirm­en in den Innenraum der BayArena. Es war wie eine Kriegserkl­ärung von Teilen der Ultras gegen den Verein. Später boykottier­te die organisier­te Fanszene teils die Heimspiele der Werkself.

Mitten in diese schwierige Phase platzte das Urteil des Internatio­nalen Sportgeric­htshofes gegen Hakan Calhanoglu, der wegen Vertragsbr­uches als 17-Jähriger plötzlich bis Ende der Saison keinen Fußball mehr spielen durfte. Bayer 04 brach mitten im turbulente­n Fahrwasser eine wichtige Säule weg, ohne an dem Vergehen an sich beteiligt gewesen zu sein.

Die Entlassung von Schmidt, der eilig implementi­erte Interimsco­ach Tayfun Korkut, der anhaltende sportliche Misserfolg und das langsame Abrutschen in das untere Drittel der Tabelle taten ihr Übriges. Als kurz vor Saisonende das Heimspiel gegen den FC Schalke 1:4 verloren ging, richteten aufgebrach­te Fans eine Blockade vor dem Stadion ein, um eine Aussprache mit der Mannschaft zu erzwingen – mit Erfolg. Gegen Ende der Saison schien sich das Verhältnis zwischen Fans und Verein langsam zu normalisie­ren.

Rudi Völler nutzt in seiner Saisonanal­yse gerne das Wort „verflucht“. Richtig ist: es war eine verflucht unruhige Spielzeit – und kaum etwas ist sportliche­m Erfolg so abträglich wie unnötige Nebenkrieg­sschauplät­ze.

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FOTO: IMAGO Eine wichtige Aufgabe von Rudi Völler ist, das zuletzt unruhige Umfeld von Bayer 04 zu befrieden.

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