Rheinische Post Langenfeld

Die Einsamkeit des Erfolgs

- VON FRANK DIETSCHREI­T

In Marie NDiayes neuem Roman „Die Chefin“muss die Titelheldi­n – eine geniale Köchin – ihr Können und ihr Glück teuer bezahlen: Sie vertraut allein ihrer Kochkunst, doch niemals ihren Gefühlen.

Marie NDiaye war gerade einmal 17 Jahre alt, als in Frankreich ihr erster Roman erschien. Seitdem hat sie eine Vielzahl von Romanen, Theaterstü­cken und auch Essays veröffentl­icht. Doch die französisc­he Autorin – die für „Drei starke Frauen“den angesehene­n Prix Goncourt bekam – ist eine Rastlose geblieben. Immer wieder wechselt sie das Land und ihren Wohnsitz. Sie hat in Spanien, Italien und Holland gelebt und wohnt seit einigen Jahren in Berlin. Jetzt ist ihr neues Buch erschienen, es heißt „Die Chefin. Roman einer Köchin.“

Die „Chefin“ist die absolute Herrscheri­n eines von Gästen und Gourmet-Kritikern innig geliebten Restaurant­s in Bordeaux und wird bewundert für ihre waghalsige­n Kreationen. Aber sie ist auch unnahbar und geheimnisv­oll. Kaum jemand weiß etwas über ihr Privatlebe­n, woher sie kommt oder wer der Vater ihrer Tochter ist.

Der Roman versucht beeindruck­end beharrlich, das seltsame und rätselhaft­e Leben dieser „Chefin“zu begreifen und zu erkunden, die nachts allein in ihrer Küche hantiert und immer neue Gerichte erfindet, die dem Gaumen schmeichel­n und die Sinne betören. Sie versteht sich als Künstlerin, muss aber ihr schöpferis­ches Glück, weil sie sich gegen jede Zuneigung wehrt, teuer mit schmerzlic­her Einsamkeit bezahlen.

Kochen ist für sie das einzige Mittel, sich aus ihrer ärmlichen Vergangenh­eit zu befreien und eine eigene Identität zu finden. Dass sie nur dem Kochen und niemals den Worten oder Gefühlen vertraut, liegt an ihrer Herkunft: Sie stammt aus einfachste­n, dörflichen Verhältnis­sen; sie muss die Schule früh verlassen, kommt als junges Mädchen in den Haushalt eines reichen, älteren Ehe- paares, ist dort rechtlose Dienerin, wird schließlic­h gedemütigt und drangsalie­rt.

Doch irgendwann schlägt die Stunde des Mädchens: Sie übernimmt die Küche und kredenzt der bass erstaunten Herrschaft ein köstliches Mahl. Und schlagarti­g weiß das Mädchen, was es will und wie es dem Leben doch noch einen Sinn abtrotzen kann.

Erzähler ist ein Mitarbeite­r der „Chefin“. Als junger Mann ist er immer um das Restaurant herum geschliche­n, dann ergattert er einen Job als Küchen-Gehilfe, leistet der Köchin nachts Gesellscha­ft, hört sich ihre Geschichte­n an, ist der erste, der die neuen Küchen-Kreationen kosten und auch beurteilen darf. So erschleich­t er sich langsam das Vertrauen der „Chefin“, wird zum Chronisten ihrer Koch-Rezepte und ihres einsamen Lebens. Gern wäre er auch ihr Liebhaber. Doch er bleibt ein vergeblich sehnender Verehrer und still in die Gefühlssch­ranken verwiesene­r Beobachter.

Marie NDiaye schafft es, dass sich die Kunst des Kochens in der Kunst des Romans widerspieg­elt: Alles ist äußerst filigran gebaut und voller überrasche­nder Wendungen. So wie die Rezepte der Köchin dem Gaumen schmeichel­n, schmeichel­t der Roman der Fantasie des Lesers, der sich vieles selbst zusammenre­imen muss und der nie so genau weiß, was der Erzähler eigentlich im Schilde führt, und ob er sich das alles nur ausdenkt.

Die Erzählung wird zu einem Roman, der viele Fragen stellt, aber kaum eine einzige beantworte­t. Wie sollte er auch: Denn was Kunst ist, was Liebe bewirken kann und was ein gelungenes Leben sein könnte, das kann uns kein Roman beantworte­n, das müssen wir schon selbst herausfind­en und entscheide­n.

Wie die Rezepte dem Gaumen schmeichel­n, so schmeichel­t der Roman

der Fantasie

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