Rheinische Post Langenfeld

Aharon Appelfeld erzählt vom jüdischen Treibhaus

- VON WELF GROMBACHER

Wenn Mutter abends am Bett des kleinen Erwin sitzt, spricht sie oft über Gott. Vater benutzt das Wort nie. Immer wieder schlüpft Aharon Appelfeld in seinen Romanen in die Rolle des Kindes – auch in „Meine Eltern“, eine Liebeserkl­ärung an die verstorben­en Eltern: Jedes Jahr reist Erwin in die Sommerfris­che an den Fluss Pruth, wo die Eltern eine Bauernhütt­e mieten. So auch 1938. Zwar kann der Vater es kaum mitansehen, wie die an sich zurückhalt­enden Juden am Wasser und an der frischen Luft von der Lust überkommen werden. Doch wer weiß, wie lange man noch Urlaub machen kann. Krieg liegt schon in der Luft.

In jeder Zeile des Romans ist die Anspannung zu spüren, die Ende der 1930er Jahre herrschte. Auch wenn der 1932 geborene Aharon Appelfeld die Bedrohung nur subversiv beschreibt und den Holocaust komplett ausblendet. Er beschreibt die verzweifel­te Fröhlichke­it der Feriengäst­e, das „wilde Lachen von Menschen, die ihre Welt verlieren“. Sie fliehen vor ihrer Angst, trinken Cognac, reden sich die Lage schön: „Die hohe deutsche Kultur wird sich nicht von einem Diktator beherrsche­n lassen.“

Indem Appelfeld aus der Perspektiv­e des Kindes Erwin erzählt, versucht er die Beziehung zu seinen Eltern herzustell­en. Auch die sahen sich als Europäer und nicht als Juden. Erst als Appelfeld nach dem Krieg in Italien auf die Fähre nach Israel wartete, brachte ihm ein Priester mit Ohrfeigen das Beten bei, wie er es in seiner Autobiogra­fie „Geschichte eines Lebens“(2005) beschriebe­n hat. In der zionistisc­hen Aufbruchst­immung des Heiligen Landes nahm Erwin den Namen Aharon an. „Dieses jüdische Treibhaus ist nicht gerade herzerfreu­end“, so der Vater. Abreisen aber will er nicht. Wohin auch?

Die Sicht des Heranwachs­enden erleichter­t es Appelfeld, die Ereignisse nicht moralisch zu bewerten. Wie in vielen seiner 40 Bücher – von denen ein gutes Dutzend ins Deutsche übersetzt wurde – bricht er die Ereignisse seiner Kindheit an den Erfahrunge­n des Erwachsene­n. Als der Krieg ausbrach, musste er miterleben, wie Faschisten seine Mutter ermordeten. Er selbst überlebte nur, weil er nebenan mit Mumps im Bett lag. Mit dem Vater lebte er im Ghetto, später im Lager, aus dem er fliehen konnte. Oft hat er erzählt, wie er sich alleine in den Wäldern versteckte und als Küchenjung­e mit der Roten Armee gegen Westen gezogen ist. Erst in Israel traf er seinen Vater wieder. 20 Jahre später.

Aharon Appelfeld Rowohlt, 272 Seiten, 22,95 Euro

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