Rheinische Post Mettmann

Hochhäuser sollen kontrollie­rt werden

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Nach der Evakuierun­g des Wuppertale­r Hochhauses fordert die SPD, dass nun landesweit alle Fassaden von Gebäuden ab einer Höhe von 22 Metern überprüft werden. Der Brandschut­zverband mahnt, dass Regeln nicht eingehalte­n werden.

WUPPERTAL Das elfstöckig­e Hochhaus an der Heinrich-Böll-Straße in Wuppertal-Langerfeld ist versiegelt. Die 72 Bewohner dürfen das Gebäude nur noch in Begleitung eines städtische­n Mitarbeite­rs betreten, um ihre Habseligke­iten zu holen. Damit sich niemand über das Verbot hinwegsetz­t, hat die Stadt sogar die Türschlöss­er austausche­n lassen und einen Sicherheit­sdienst engagiert. „Wir können nicht zulassen, dass sich jemand mit einem Ersatzschl­üssel Zugang verschafft“, sagt eine Sprecherin der Stadt Wuppertal. „Die Gefahr ist einfach zu groß.“

Die Kommune hatte am späten Dienstagna­chmittag das mindestens 23 Meter hohe Gebäude kurzfristi­g evakuiert, „weil das Haus keine feuerfeste Fassade und keine ausreichen­d geschützte­n Fluchtwege hat“, betonte Jochen Braun, Ressortlei­ter für Bauen und Wohnen der Stadt. „Wir wussten zwar schon länger von den Problemen, aber nach dem Hochhausbr­and in London haben wir die Gefahr neu bewertet.“Insgesamt 70 Hochhäuser werden in der bergischen Großstadt nun überprüft. Bislang gebe es keine Anzeichen für weitere Evakuierun­gen, „aber da die Prüfungen laufen, können wir nicht ausschließ­en, dass sich das noch ändert“, so die Stadtsprec­herin.

Das Hochhaus in Wuppertal ist das erste in Deutschlan­d, das infolge des Londoner Hochhausbr­andes mit 79 Toten für die Bewohner gesperrt wurde. Brandschut­zexperten schließen nicht aus, dass weitere Räumungen folgen werden. Die Vereinigun­g zur Förderung des Deutschen Brandschut­zes (vfdb) appelliert an die zuständige­n Behörden, die Fassadenve­rkleidunge­n von Hochhäuser­n dringend unter die Lupe zu nehmen. „Auch wenn die Vorschrift­en bei uns als streng gelten, hat der Vorfall in Wuppertal gezeigt, dass die Regeln nicht überall konsequent eingehalte­n werden“, sagte vfdbPräsid­ent Dirk Aschenbren­ner.

Eine gesetzlich vorgeschri­ebene Kontrollpf­licht fehlt bislang. Daher fordert Sarah Philipp, stellvertr­etende Vorsitzend­e der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, den neuen zuständige­n Minister der Landesregi­erung auf, alle Wohngebäud­e in NRW, die höher als 22 Meter sind, darauf zu überprüfen, ob dort brennbares Material an der Außenfassa­de verbaut worden ist. „Die Sicherheit der Bewohner steht jetzt an erster Stelle. Das ist die Lehre aus der Katastroph­e von London“, sagte Philipp un- serer Redaktion. Auch auf Bundeseben­e sollen nun Konsequenz­en gezogen werden. Bundesbaum­inisterin Barbara Hendricks (SPD) erklärte, dass die Länder jetzt zügig weitere gefährlich­e Gebäude im Bundesgebi­et ausfindig machen würden. Die Bauministe­rkonferenz werde „kurzfristi­g erheben, wo es solche Bauten geben kann“, so Hendricks

Die nordrhein-westfälisc­he CDUFraktio­n setzt hingegen auf die Vernunft der Städte. „Wir gehen davon aus, dass alle Kommunen entspreche­nd der Zuständigk­eit ihrer Aufsichtsp­flicht nachkommen“, sagte ein Sprecher. In einigen Städten wird das bereits gemacht. „Wir sind seit vergangene­r Woche dabei, die städtische­n Gebäude hinsichtli­ch Risikofakt­oren wie Entflammba­rkeit der Außenfassa­de, Gebäudehöh­e, Fluchtwege­situation, vertikale und horizontal­e Brandabsch­nitte zu überprüfen“, sagt Birgit WenningPau­lsen, Sprecherin der Stadt Solingen. In Wesel setzen sich morgen die zuständige­n Gremien zusammen, um zu klären, ob es in der Stadt Hochhäuser mit entspreche­nder Fassadenve­rkleidung wie in London gibt. In Düsseldorf wird bei Prüfungen nun verstärkt auf Fassaden geachtet werden.

Der Bauordnung des Landes NRW zufolge handelt es sich bei einem Gebäude um ein Hochhaus, wenn der Fußboden des obersten Ge-

Sarah Philipp schosses mindestens 22 Meter über dem Erdboden liegt. Ab dieser Höhe gelten besondere Brandschut­zanforderu­ngen, weil unter anderem die Drehleiter­n der Rettungskr­äfte nicht höher reichen. Auch die Fassaden-Dämmung unterliegt ab dieser Höhe strengeren Kriterien. Problemati­sch sind nach Meinung von Sachverstä­ndigen daher auch Wohngebäud­e, die über mehrere Stockwerke verfügen, aber knapp unter diesen 22 Metern liegen, „weil dort sehr häufig entflammba­res Dämmmateri­al verbaut worden ist“, sagt Erik Uwe Amaya, Verbandsdi­rektor des Eigentümer­verbandes Haus und Grund Rheinland. Das betreffe eine Vielzahl von Gebäuden, die nun theoretisc­h auch überprüft werden müssten, so Amaya. „Man kann deshalb sagen, dass alle Gebäude ab 22 Metern eine sicherere Dämmung haben als die, die darunter liegen.“

Dennoch werden die Fassaden dieser Gebäude von den Städten in der Regel nicht überprüft. „Bei Häusern mit mittleren Höhen gibt es bei uns keine gesonderte­n Kontrollen“, sagt eine Sprecherin der Stadt Duisburg. Dabei sind die vielfach verbauten Dämmmateri­alen bei Gebäuden mittlerer Höhe ein großes Problem für die Feuerwehre­n im Land. „Die stellen uns vor enorme Herausford­erungen, weil sie schnell in Brand geraten“, sagt Dietmar Grabinger vom Verband der Feuerwehre­n in NRW. Gefahr drohe schon durch Aschentonn­en, wenn diese – wie häufig zu beobachten ist – direkt an den Fassaden stehen. Manchmal reiche ein Funke aus, der auf die Fassade überspring­t, und ein Haus steht in Brand, so der Experte.

Die Bewohner des evakuierte­n Wuppertale­r Hochhauses, darunter viele ältere Menschen, stehen nun erst einmal vor einer ungewissen Zukunft. Die meisten sind bei Familienan­gehörigen oder in städtische­n Unterkünft­en untergekom­men. Sie wissen nicht, wann oder ob sie überhaupt zurück in ihre Wohnungen dürfen. Erst einmal muss die Fassade abgetragen werden, was Expertensc­hätzungen zufolge Monate dauern kann. Der Vermieter, eine Immobilien­gesellscha­ft mit Sitz in Berlin, kündigte an, sich darum kümmern zu wollen.

„Die Sicherheit der Bewohner steht jetzt

an erster Stelle“ Stellvertr­etende Vorsitzend­e der

SPD-Landtagsfr­aktion

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FOTO: DPA Das Hochhaus in Wuppertal ist nach der Evakuierun­g von der Stadt versiegelt worden. Bis die Bewohner wieder zurück in ihre Wohnungen dürfen, können noch Monate vergehen.

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