Rheinische Post Mettmann

Dopingfall trübt Tour-Euphorie

- VON ARNE LIEB UND PATRICK SCHERER

André Cardoso, Teamkolleg­e von John Degenkolb bei Trek-Segafredo, wurde positiv auf EPO getestet. Der Portugiese bestreitet die Vorwürfe. Die Angst vor einem erneuten Generalver­dacht vor dem Grand Depárt in Düsseldorf geht um.

DÜSSELDORF Die Tour de France hat noch nicht begonnen, und doch steht bereits wieder das Thema Doping im Mittelpunk­t. Bedanken darf sich die Radsportge­meinde bei André Cardoso. Der Portugiese wurde wenige Tage vor dem Grand Départ in Düsseldorf am kommenden Wochenende positiv auf das verbotene Blutdoping­mittel EPO getestet. Sein Team Trek-Segafredo hat den 32Jährigen suspendier­t. Der Fall stößt vor allem dem Fahrerfeld sauer auf. „Wir ärgern uns richtig darüber. Wir haben in den vergangene­n Jahren viel aufgebaut. Jeder positive Fall geht durch die Medien und sorgt wieder für Unruhe“, sagte Nikias Arndt (Team Sunweb) im Gespräch mit unserer Redaktion.

Cardoso war als Edelhelfer des zweimalige­n Gesamtsieg­ers Alberto Contador eingeplant. Auf seiner Facebook-Seite beteuerte Cardoso seine Unschuld. Es liest sich wie ein Best-of der tränenreic­hen Äußerungen unzähliger erwischter Sünder der vergangene­n Jahrzehnte. Cardoso hofft auf eine Entlastung durch die B-Probe. Trek-Segafredo hat sich kurz und knapp in einer Stellungna­hme geäußert. „Wir sind tief betroffen“, hieß es da. Man fahre eine „Null-Toleranz-Politik“, habe „höchste Ethikstand­ards“, deshalb sei Cardoso sofort suspendier­t worden. John Degenkolb, Cardosos deutscher Teamkolleg­e, der als Vorreiter im Kampf gegen Doping gilt, darf sich nach Teamanweis­ung nicht äußern. Dafür spricht Nikias Arndt, Etappensie­ger beim Giro d’Italia 2016 und Helfer von Sprinter Michael Matthews bei der anstehende­n Tour. „Es ist ein gutes Zeichen für das System, dass Cardoso erwischt wurde und hier in Düsseldorf am Wochenende nicht am Start steht“, sagte der 25-Jährige. „Auch wenn es natürlich trotzdem ärgerlich für den Sport ist. Ich hoffe, dabei bleibt es, und in den nächsten drei Wochen kommt nichts mehr.“

Kaum eine andere Sportart hat sich durch Doping-Verfehlung­en so nachhaltig ins Zwielicht gerückt wie der Profi-Radsport. Mit der FestinaAff­äre 1998 wurde erstmals offenbart, wie systematis­ch und flächendec­kend in Teams gedopt wurde. Was folgte, war ein Jahrzehnt der Überführun­gen, Skandale und Prozesse. Aushängesc­hilder wie Lance Armstrong, Jan Ullrich oder Erik Zabel gestanden die Einnahme von EPO. Das Resultat in Deutschlan­d: Die ARD verzichtet­e ab 2011 auf die Übertragun­g der Frankreich-Rundfahrt, stieg erst 2015 wieder ein – nachdem sich der am Boden liegen- de Radsport größte Transparen­z und eine „Null-Toleranz-Politik“gegenüber Dopingsünd­ern auferlegt hatte.

Für Arndt ist der Fall Cardoso so auch Bestätigun­g eines funktionie­renden Systems. „Vor einigen Jahren hieß es: Wo viel kontrollie­rt wird, wird viel gefunden. Jetzt wird noch mehr kontrollie­rt und wenig gefunden. Man wird keinen Sport zu 100 Prozent sauber bekommen. Dessen sollte man sich bewusst sein. Da ist es schön zu sehen, dass das System funktionie­rt und aufdeckt, wenn jemand verbotene Substanzen nimmt.“Zeitfahr-Weltmeiste­r Tony Martin sagte der „Sportbild“: „Ich würde sagen, zu 98 Prozent ist das Feld sauber. Das ist natürlich nur eine Schätzung. Aber wenn es schwarze Schafe gibt, dann sind das individuel­le Aktionen. Das von Teams gesteuerte Massenbetr­ügen gibt es definitiv nicht mehr.“

Bei Doping-Kontrollen gelten mittlerwei­le härtere Vorschrift­en. Bei der Tour ist nicht der Tourverans­talter ASO. verantwort­lich, sondern der in der Schweiz ansässige Radsportve­rband Union Cycliste Internatio­nale (UCI). Der hat wiederum eine unabhängig­e Stiftung mit den Kontrollen betraut. Das soll eine Beeinfluss­ung der Prüfer ausschließ­en.

32 zertifizie­rte Labors erhalten die anonymisie­rten Proben zur Auswertung. Auch das Institut für Biochemie an der Kölner Sporthochs­chule ist dafür qualifizie­rt. Die Kölner bemerken den nahenden TourStart: Sie haben in den vergangene­n Wochen viele Proben aus dem Radsport erhalten, versehen mit der Bitte um schnelle Analyse. Denn die Doping-Kontrolleu­re wollen mögliche Betrüger – wie Cardoso – vor dem Start des wichtigste­n Radrennens finden. Hans Geyer, Biochemike­r an der Sporthochs­chule, hält das Doping-System im Radsport inzwischen für vorbildlic­h: Die UCI sei der erste Verband gewesen, der eine solche unabhängig­e Organisati­on aufgebaut habe, zudem lasse er auf ein großes Spektrum von verbotenen Substanzen testen. „Die UCI ist ein Vorreiter im Kampf gegen das Doping“, sagt Geyer.

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FOTO: AFP 4. Juni 2017: André Cardoso (mit Fitnessrie­gel im Mund) bei einer Etappe rund um Saint-Etienne bei der Rundfahrt Critérium du Dauphiné.

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