Rheinische Post Mettmann

Maria Theresia – mütterlich und mannhaft

- VON MARTIN KESSLER

Die österreich­ische Kaiserin lebte ganz in den Vorstellun­gen ihrer Zeit. Dabei schuf sie die neue Donaumonar­chie.

Es ist ein Detail, das für den Charakter der Habsburger­in Maria Theresia steht. Als der junge aufstreben­de Preußenkön­ig Friedrich II. am 16. Dezember 1740 die Schwäche Österreich­s durch den Herrscherw­echsel nutzt und unter fadenschei­nigen Gründen Schlesien, das reichste Territoriu­m Maria Theresias, erobert, bietet er der jungen Erbtochter ein Schutz- und Trutzbündn­is „zum wahren Nutzen des Hauses Österreich“an. Natürlich gegen die Abtretung Schlesiens. Doch die politisch noch unerfahren­e Tochter des römisch-deutschen Kaisers Karl VI. weist trotz ihrer hoffnungsl­osen Lage das dreiste Angebot des Landräuber­s ab. Sie schreibt vertraulic­h an ihren Gesandten, „dass wir solches weder glauben können noch wollen“. Das zeigt die Stärke der Österreich­erin, die 1740 das Erzherzogt­um, Böhmen, Mähren und Ungarn von ihrem Vater erbte.

Und als eine der stärksten Persönlich­keiten des 18. Jahrhunder­ts schildert sie auch die Münsterane­r Historiker­in Barbara Stollberg-Rilinger in ihrer neuen, aufsehener­regenden Biografie der Kaiserin. Doch sie verzichtet auf die üblichen Klischees, die Heldinnen-Verehrung und die typischen Männerfant­asien von der weiblichen Antipodin des Preußenkön­igs genauso wie auf die, Maria Theresia als bewusste Wegbereite­rin und Staatsgrün­derin der neuen Großmacht Österreich zu sehen. Sie setzt die große Kaiserin in ihre Zeit und zeichnet minutiös nach, wie sie die Regeln und Vorstellun­gen des 18. Jahrhunder­ts beach- tet. Das beginnt mit ihrer Rolle als Frau und Herrscheri­n, wo sie sich eher als Mutter von 16 Kindern sieht, die den Fortbestan­d der Habsburger-Dynastie sichern sollen. Das war auch die Funktion, die damals den Frauen der Herrscher zugedacht war.

Doch Stollberg-Rilinger geht weiter. Denn sosehr Maria Theresia in ihrer Zeit lebt und etwa wie seit alters her ihre Kinder nach machtpolit­ischen und dynastisch­en Erwägungen verheirate­t, so ragt sie doch aus ihrer Zeit heraus. Sie widersteht nicht nur dem damals genialsten Herrscher der Zeit, eben jenem Preußen Friedrich, sondern führt in ihrem Erbland Reformen durch, die zwar nicht immer ihren Zweck erreichen, aber eben doch die Grundlage für die Donaumonar­chie als europäisch­e Großmacht legen. Geschickt zeigt die Historiker­in aus Münster auf, wie Maria Theresia noch ganz in der Tradition des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gefangen ist und sich als von Gott bestimmte Herrscheri­n sieht.

Genauso ambivalent ist ihre Auffassung von der Teilung der Herrschaft mit ihrem Mann, Franz Stephan von Lothringen, der eigentlich Kaiser des Reichs ist. Ihm ordnet sich Maria Theresia unter. Zugleich dominiert sie die Politik und kann ihren Mann anherrsche­n, wenn er andere Meinungen als sie vertritt. Dass sie ihm in Liebe zugetan ist und seinen Tod in Wahrheit nicht verkraftet, rundet dieses Bild ab.

Stollberg-Rilinger ist eine monumental­e Biografie gelungen. Sie ist um Exaktheit, Tiefe und Quellentre­ue bemüht und zeichnet trotz- dem ein schlüssige­s Bild der Jahrhunder­tgestalt Maria Theresia. Gleichwohl sind die 1083 Seiten etwas mühsam zu lesen, immer wieder unterbroch­en durch zwar wichtige, aber den Lesefluss hemmende Zitate. Es ist mehr eine wissenscha­ftliche Arbeit als ein Lesevergnü­gen. Doch wer sich darauf einlässt, erhält ein einzigarti­ges Sittengemä­lde eines Jahrhunder­ts, das wie keines vor ihm die Welt veränderte. Schade, dass die Autorin trotz des Umfangs des Werks auf eine Zeittafel verzichtet. Das hätte die Lesbarkeit erhöht.

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