Das Klimachaos ist da
Die Hurrikans Harvey und Irma, die über den USA wüteten, sind erste Vorboten des Klimawandels. Mancher Wissenschaftler mutmaßt nun bereits, dass 2017 das Jahr ist, in dem die Elemente sich gegen den Menschen wenden.
POTSDAM Hans Joachim Schellnhuber kann von sich behaupten, dass er bereits 1995 vor der großen Veränderung gewarnt hat. Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) ist einer der erfahrenen Klimaforscher, die schon seit langem ihre Stimme erheben. Der 67-Jährige berät die Bundesregierung und die EU-Kommission bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. Schellnhuber benutzt mittlerweile eine drastische Sprache. Im Angesicht der aktuellen
Es ist kein Zufall, dass
die Stürme mit den höchsten Geschwindigkeiten jetzt auftreten
Naturkatastrophen bemühte er gar die Weltsicht der alten griechischen Philosophen, um die Tragödie in Worte zu fassen. „Das Jahr 2017 zeigt uns auf bitterste Weise, warum die Wissenschaft seit Jahrzehnten vor dem Klimachaos warnt: Die Elemente Feuer, Wasser und Luft wenden sich nun gegen uns, weil wir den Planeten aus dem Gleichgewicht bringen“, erklärt er. Und: „Harvey und Irma haben viele zornige Geschwister, welche darauf warten, die Menschheit heimzusuchen.“
Die beiden Hurrikans, die über dem Süden der USA wüteten, haben sich ganz oben in die Rekordlisten der Wetterbeobachtung eingetragen. Das extreme Ausmaß der Wetterereignisse weckt die Debatte um den Klimawandel. Und tatsächlich: Viele Zahlen, die Klimaforscher und Wetterbeobachter heute beunruhigen, stammen nicht mehr aus theoretischen Computermodellen, sondern werden jeden Tag von Wissenschaftlern in der Natur gemessen. Sie sind die stillen Vorboten für die Veränderung in der Wetterküche, deren Folgen in diesen Wochen im Atlantik, in den USA, aber auch in Indien und Pakistan zu sehen sind.
Eines dieser Phänomene ist der Anstieg der Meeresspiegel, der im 20. Jahrhundert rasanter ausfiel als in den 3000 Jahren zuvor. Im Zeitraum zwischen 1900 und 2000 stiegen die Pegel weltweit durchschnittlich um etwa 14 Zentimeter. Das erscheint nicht viel, aber die Auswirkungen lassen sich bei mehreren Stürmen beobachten. Denn mit jedem Zentimeter verschwindet nicht nur ein Stückchen Land, sondern gleichzeitig vergrößern sich die Wassermassen, die bei einer Sturmflut aufs Land gespült werden.
Zudem steigen die weltweiten Wassertemperaturen kontinuierlich. Die meisten Menschen denken beim Klimawandel an die Erwärmung der Erdatmosphäre, aber ein Teil der zusätzlichen Energie wird von den Meeren gespeichert. Das können die Forscher auch in deutschen Gewässern messen. So hat das Bundesumweltministerium in der vergangenen Woche berichtet, dass die Nordsee in den vergangenen 45 Jahren um 1,4 Grad wärmer geworden sei. Weltweit ist dieser Trend nicht so extrem. Die Durchschnittstemperatur der Ozeane stieg um 0,74 Grad. Für die Entwicklung eines Hurrikans spielen die Verhältnisse direkt an der Wasseroberfläche eine besondere Rolle. In den oberen Wasserschichten steigen die Temperaturen schneller als in tieferen Regionen. Ein Hurrikan kann bei Wassertemperaturen oberhalb von 26 Grad entstehen. Es zählt zur Logik von Statistik, dass eine Steigerung der Durchschnittstemperatur einem Hurrikan einige Tage Zeit gibt, seine zerstörerische Energie aufzunehmen.
Doch das wärmere Wasser beeinflusst die Stärke des Hurrikans auch durch einen physikalischen Effekt. Es sorgt dafür, dass mehr Wasserdampf in das System kommt. Die- sen Effekt kennt man aus dem Haushalt beim Wasserkochen. Nach einer Faustregel der Thermodynamik bedeutet eine Erhöhung um ein Grad etwa sieben Prozent mehr Wasserdampf – mehr Wolken und am Ende auch mehr Regen. Gleichzeitig vergrößert die wärmere Luft die Windgeschwindigkeiten. Mehrere, scheinbar kleine Veränderungen, bekommen damit in der Summe eine große Wirkung. „Es ist kein Zufall, dass die Stürme mit den höchsten Windgeschwindigkeiten fast alle in den letzten zwei Jahren auftraten“, schreibt Thomas C. Peterson, Präsident der Klima-Kommission der World Meteorological Organization (WMO) in einer Bewertung. Diese Häufung von Rekordstürmen sei sowohl auf der nördlichen als auch auf der südlichen Hemisphäre, im Pazifischen und im Atlantik zu beobachten.
Doch viele Klimaforscher wollen in diesen Tagen nicht als Besserwisser dastehen. Aber sie haben einige dieser Phänomene vorhergesagt, wenn sie auch in den Details nicht komplett richtiglagen. Falsch lagen die Wissenschaftler mit der Prognose, dass die Zahl der Hurrikans zunehmen werde. „Die Stürme werden nicht häufiger, aber wenn sie auftreten, sind sie stärker“, erklärt Peterson.
Doch einige Auswirkungen des Hurrikans haben selbst die erfahrenen Meteorologen überrascht. Harvey hat sich im Vergleich mit seinen Vorgängern nur sehr langsam bewegt. So regneten sich die großen Wassermassen auf einer kleineren Fläche ab und vergrößerten damit die Überschwemmungen. Die Meteorologen führen das auf eine besondere Konstellation von Hochdruckgebieten zurück, die im Süden der USA eher selten sei. Die Klimamodelle liefern allerdings Hinweise darauf, dass sich der sogenannte Jetstream, ein Luftzug in der höhergelegenen Stratosphäre langsam verschiebt und sich dadurch auch das Wettergeschehen in der Troposphäre verändert.