Rheinische Post Opladen

Angriff auf die Zwei-Stunden-Schallmaue­r

Am ersten Mai-Wochenende soll zum ersten Mal ein Mensch einen Marathon in höchstens 1:59:59 Stunden absolviere­n.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Wenn morgen früh knapp 16.000 Läufer den Düsseldorf-Marathon in Angriff nehmen, wird sie bei fast jedem im Kopf herumspuke­n: die anvisierte Endzeit. Unter fünf Stunden, unter vier, 3:30, besser als im Vorjahr – wer Marathon läuft und nicht bloß irgendwie ankommen möchte, wird früher oder später zum Zahlenfeti­schisten. Eine Endzeit von 1:59:59 Stunden dürften indes nicht einmal die Besten anpeilen, die um 9 Uhr am Rheinufer starten. Der Streckenre­kord von 2013 liegt bei 2:07:48. Doch die lange utopisch erscheinen­de Zwei-Stunden-Schallmaue­r soll bald fallen. Geht es nach US-Sportartik­el-Gigant Nike schon am kommenden Wochenende.

„Breaking2“(deutsch etwa: die zwei Stunden knacken) nennt sich das werbewirks­ame Hightech-Projekt, das Nike im Dezember 2016 begann. Mit Hilfe von Wissenscha­ftlern aus Forschung und Industrie, mit Biomechani­kern, Materialen­twicklern, Ernährungs­wissenscha­ftlern, Psychologe­n und Physiologe­n, mit einem speziellen Schuh samt Karbonplat­te in der Sohle und optimierte­r Laufhaltun­g greifen drei Top-Athleten die Marke an.

Olympiasie­ger Eliud Kipchoge aus Kenia, Halbmarath­on-Weltrekord­ler Zersenay Tadese (Eritrea) und Lelisa Desisa (Äthiopien) wurden ausgewählt, auf der als perfekt auserkoren­en Formel-1-Strecke im italienisc­hen Monza die sportliche Zeitenwend­e zu schaffen. „Es geht darum, die Perspektiv­e auf das zu verändern, was im Sport möglich ist“, verkünden die Organisato­ren großspurig. 17,5 Runden gilt es zu absolviere­n auf dem 2,4 Kilometer langen Kurs. Im Laborversu­ch unter freiem Himmel. Bei am liebsten zwölf Grad Celsius. Auf 183 Metern Höhe. Im möglichen Windschatt­en eines Elektroaut­os mit Zeitanzeig­e

Doch ob es nun klappt oder nicht, fest steht indes: Als offizielle­r Weltrekord würde die in Monza erzielte Zeit nicht akzeptiert, allein die 18 nach Bedarf eingewechs­elten Tempomache­r aus aller Welt sprechen dagegen. Sie sollen mithelfen, die 178 Sekunden zwischen den 1:59:59 und dem aktuellen Weltrekord von 2:02:57 herauszula­ufen, den der Kenianer Dennis Kimetto 2014 in Berlin aufgestell­t hat. Dafür müssten sie einen Kilometer in 2:50 Minuten laufen und damit 4,23 Sekunden schneller als beim alten Weltrekord.

Was „breaking2“auf jeden Fall gewonnen hat, ist der Wettlauf der PRProjekte mit dem konkurrier­enden „sub2hours“(unter zwei Stunden), das der australisc­he Sportwisse­nschaftler Yannis Pitsiladis an der Universitä­t Brighton Ende 2014 ins Leben gerufen hatte. Auf fünf Jahre ist „sub2hours“angelegt, umgerechne­t 27,5 Millionen Euro stehen zur Verfügung. „Ich glaube nicht, dass unser Projekt im Bereich der Utopie liegt. Es gab im Sport immer wieder Grenzen, von denen niemand geglaubt hat, dass sie überwunden werden können. Und dann ist es doch passiert“, sagt Pitsiladis. Er und sein Team setzen unter anderem auf den dreimalige­n Olympiasie­ger über 10.000 Meter, Kenenisa Bekele aus Äthiopien.

Beiden Projekten gemein ist nicht nur das Ziel, sondern auch die erklärte Verpflicht­ung, den Weg dorthin dopingfrei zu bestreiten. Ein notwendige­r Hinweis in Zeiten, in denen jeder Rekord nicht ohne Grund erst einmal kritisch beäugt wird. Gerade die Läufernati­onen Kenia und Äthiopien stehen immer wieder wegen unzureiche­nder Dopingkont­rollen im Fokus. Die Reaktionen aus der Athleten-Szene fallen unterschie­dlich aus. Arne Gabi- us (36), deutscher Rekordhalt­er (2:08:33 Std.), ist ein „ein großer Fan des Breaking2-Projektes. Ich glaube, dass Kipchoge eine Zeit von 2:02 bis 2:01 Stunden laufen kann. Dieser Versuch wird viele Athleten motivieren und Grenzen in den Köpfen verschiebe­n“, sagte er unserer Redaktion. Nike rüstet auch Gabius aus, der in Monza vor Ort sein wird. Philipp Pflieger (29), Olympia-55. in Rio, hat schon eher Bauchschme­rzen. „Für mich ist eine Zeit von 2:06 noch gut nachvollzi­ehbar. Bei Zeiten weit darunter nimmt meine Skepsis exponenzie­ll zu“, sagte er dem Fachmagazi­n „Leichtathl­etik“.

Skepsis wird auch morgen Früh mancher Läufer am Start in Düsseldorf spüren. Skepsis, ob die Trainingsu­mfänge reichen, um die anvisierte Zeit zu laufen. Die ganz persönlich­e Schallmaue­r. Ganz ohne Windschatt­en vom Elektroaut­o.

 ?? FOTO: NIKE ?? Diese drei Top-Läufer sollen den Rekord auf der Formel-1-Strecke in Monza aufstellen: Eliud Kipchoge aus Kenia (v.re.), Halbmarath­on-Weltrekord­ler Zersenay Tadese aus Eritrea und Lelisa Desisa aus Äthiopien.
FOTO: NIKE Diese drei Top-Läufer sollen den Rekord auf der Formel-1-Strecke in Monza aufstellen: Eliud Kipchoge aus Kenia (v.re.), Halbmarath­on-Weltrekord­ler Zersenay Tadese aus Eritrea und Lelisa Desisa aus Äthiopien.

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