Rheinische Post Opladen

Die einsame Kanzlerin

Die Unionsfrak­tion verliert die Geduld mit Angela Merkel. Am Abend wollte sich die Kanzlerin mit Horst Seehofer zur Krisensitz­ung treffen.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) macht jetzt Politik an der Kanzlerin vorbei: Am Mittwochvo­rmittag steht er mit dem österreich­ischen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, der in Wien gemeinsam mit der rechtspopu­listischen FPÖ regiert, in seinem Ministeriu­m. Die beiden kennen sich gut und schätzen sich. Während Kurz seinen Auftritt vor der Presse mit der Kanzlerin am Vortag nüchtern, höflich, routiniert abspulte, wendet er sich Seehofer schmeichel­nd zu. Er lobt das gemeinsame Verhältnis und die bisherige Zusammenar­beit in der Flüchtling­skrise. Dann verkünden die beiden im Kampf gegen illegale Migration nach Europa eine „Achse der Willigen“– bestehend aus Rom, Berlin und Wien.

Merkel, die gerade beim Integratio­nsgipfel im Kanzleramt sitzt, wird von dem Vorstoß der rechtspopu­listischen italienisc­hen Regierung im Bunde mit dem konservati­ven Österreich­er und der CSU überrascht. Entspreche­nd schmallipp­ig reagiert ihr Regierungs­sprecher. Er kenne diesen Vorstoß noch nicht, sagt Steffen Seibert und verweist auf die Haltung der Kanzlerin für eine europäisch­e Lösung der Flüchtling­skrise.

Ausgerechn­et: Seehofer schwänzt den Integratio­nsgipfel und schmiedet ein eigenes Bündnis für europäisch­e Flüchtling­spolitik, wie er sie sich vorstellt. Es ist eine weitere Bloßstellu­ng der Kanzlerin in der langen Reihe der gegenseiti­gen öffentlich­en Demütigung­en zwischen Merkel und Seehofer seit Ausbruch der Flüchtling­skrise 2015.

An diesem Vormittag sieht es so aus, als gehe Seehofer als Sieger aus dem langen Streit hervor. Das Blatt hat sich gewendet. 2015 sah die Welt noch anders aus: Die USA führte Barack Obama, der Merkel für ihr Flüchtling­sengagemen­t verehrte. In Italien war der smarte Matteo Renzi am Ruder, in Frankreich der schwache François Hollande, und in Österreich regierte mit Werner Faymann ein Sozialdemo­krat – mit denen kann Merkel ohnehin gut. Mit ihm hatte sie an Europa vorbei verabredet, die in Ungarn festsitzen­den Flüchtling­e nach Deutschlan­d reisen zu lassen. Sie alle akzeptiert­en Merkel als Führerin Europas und waren froh, dass Deutschlan­d die Flüchtling­e nahm.

Merkel hat in dieser Zeit Fehler gemacht, sie hat aber auch vieles richtig gemacht. Zu Recht ist sie als Verfechter­in von Humanität und freiheitli­chen Werten von den Demokraten dieser Welt gefeiert worden. Auch für den Friedensno­belpreis hat man sie gehandelt.

Kritik bekam sie von Anfang an von Seehofer. Er warf ihr vor, mit der Entscheidu­ng vom September 2015 den Pfropfen aus der Flasche gezogen zu haben, den sie nun nicht wieder draufbekom­me. Seehofer konnte sich vorerst nur mit dem in Europa verschriee­nen ungarische­n Regierungs­chef Viktor Orbán verbünden. Der Rest ist bekannt. Die Fronten zwischen Seehofer und Merkel sind immer härter geworden: der CSU-Parteitag 2015, bei dem Seeho- fer Merkel wie ein Schulmädch­en abkanzelte, die endlose Debatte um die Obergrenze. Nach der Befriedung dieses Streits: die neue Debatte um die Frage, ob der Islam zu Deutschlan­d gehört – und nun die Zurückweis­ungen an der Grenze.

Merkel wirkt in diesen Tagen mürrisch und ungeduldig. Bei dem Treffen mit Kurz weist sie eine österreich­ische Journalist­in zurecht. So etwas passiert ihr sonst nie. Merkels wichtigste­s Argument, warum sie nicht zu den früheren Dublin-Regeln bei den Zurückweis­ungen zurückkehr­en möchte, ist die Notwendigk­eit einer gemeinsame­n euro- päischen Flüchtling­spolitik. Die ist ebenso unbestreit­bar wie aussichtsl­os. Das einzige, worauf sich die Europäer noch einigen können, ist das Ziel, ihre Außengrenz­en so gut wie möglich abzuriegel­n.

Die Auseinande­rsetzung mit Seehofer geht schon seit 2015 über sachliche Unterschie­de hinaus. Deshalb bricht der Streit in unterschie­dlichen Varianten auch immer wieder aus. Er ist persönlich. Nun aber verliert sogar die eigene Fraktion die Geduld mit der sonst so pragmatisc­hen Kanzlerin, die mehr und mehr Abgeordnet­en als stur erscheint.

An diesem Mittwoch gestern in Berlin herrscht gefährlich­e Ruhe. Merkels Kritiker schweigen, weil sie wissen, dass die Mehrheit inzwischen denkt wie sie. Nach Informatio­nen unserer Redaktion wollen sich noch am Abend Merkel und Seehofer mit den Ministerpr­äsidenten von Bayern und Hessen, Markus Söder (CSU) und Volker Bouffier (CDU), zu einer Krisensitz­ung treffen. Söder hat im bayerische­n Wahlkampf Termine abgesagt und ist extra nach Berlin gereist. Bouffier gilt als ausgebufft­er Verhandler und Brückenbau­er. Zu ihm haben Merkel und Seehofer Vertrauen.

Die Ungeduld ist groß. Vorsichtig werden die ersten Weichen gestellt, den Druck auf Merkel noch einmal zu erhöhen. Aus Kreisen der Abgeordnet­en dringt durch, dass eine Sonderfrak­tionssitzu­ng für Freitagfrü­h vorbereite­t wird.

Auch Seehofer macht mit, den öffentlich­en Druck zu erhöhen. Bei der Pressekonf­erenz mit Kurz sagt er, dass er „zeitnah“eine Einigung mit Merkel suche: „Das heißt für mich innerhalb dieser Woche.“

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FOTO: DPA Blick ins Ungewisse: Bundeskanz­lerin Angela Merkel im Herbst 2017 in einer gepanzerte­n Limousine auf dem Weg ins Konrad-Adenauer-Haus.

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