Rheinische Post Opladen

Höchststra­fe – Zschäpe wehrt sich

Die Hauptangek­lagte im NSU-Prozess muss lebenslang in Haft. Sie will dagegen in Revision gehen. Die Unterstütz­er kommen milder davon. Für die Politik ist der Fall nicht erledigt.

- VON GREGOR MAYNTZ, EVA QUADBECK UND HENNING RASCHE

MÜNCHEN/BERLIN Nach mehr als fünf Jahren ist der NSU-Prozess vor dem Oberlandes­gericht München am Mittwoch zu Ende gegangen. Das Gericht verhängte gegen die Hauptangek­lagte Beate Zschäpe die Höchststra­fe. Sie wurde als Terroristi­n und Mittäterin unter anderem wegen zehnfachen Mordes zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe verurteilt. Außerdem stellte der Senat die besondere Schwere der Schuld fest. Daher kann die Strafe nicht nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Die vier Unterstütz­er des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“(NSU) bekamen Haftstrafe­n zwischen zweieinhal­b und zehn Jahren.

Mit dem Strafmaß von Beate Zschäpe ist das Gericht fast vollständi­g der Anklage der Bundesanwa­ltschaft gefolgt. Es verzichtet­e lediglich auf die anschließe­nde Sicherungs­verwahrung. Juristisch steht das Urteil auf wackeligem Boden. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die anderen Mitglieder des NSU, sollen die Morde, Überfälle und Anschläge verübt haben. Das Oberlandes­gericht musste Zschäpe deswegen nachweisen, dass sie wesentlich an der Planung der Taten beteiligt war. Der NSU hat zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordet, neun davon mit Migrations­hintergrun­d.

Zschäpes Anwalt Mathias Grasel kündigte an, gegen das Urteil Revision beim Bundesgeri­chtshof einzulegen. Bis die Schuldsprü­che rechtssich­er sind, werden daher Jahre vergehen. Das Münchner Gericht hat etwa anderthalb Jahre Zeit, das schriftlic­he Urteil anzufertig­en. Erst danach kann die Revision starten.

Hinter der Anklage zurück blieben die Urteile für die Unterstütz­er des NSU. Ralf Wohlleben wurde zu zehn Jahren, André E. zu zweieinhal­b Jahren und Holger G. sowie Carsten S. zu drei Jahren Haft verurteilt. E. wurde inzwischen aus der U-Haft entlassen. Das sorgte zum Teil für Unverständ­nis bei den Angehörige­n der Opfer. Elif Kubasik, Ehefrau des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, erklärte über ihren Anwalt, dass sie den Richterspr­uch mit Entsetzen und Unverständ­nis aufnehme. Sie sehe in den milden Urteilen „eine weitere Ermutigung“der Neonazi-Szene.

Für die Politik ist der Fall ebenfalls noch nicht abgeschlos­sen. Die frühere Bundesjust­izminister­in Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger (FDP) sagte unserer Redaktion: „Die Ermittlung­en müssen wegen des rechtsextr­emistische­n Umfelds weitergehe­n.“Auch die Verantwort­ung des Verfassung­sschutzes sei aufzukläre­n. Das Urteil lasse „Fragen offen“. Generalbun­desanwalt Peter Frank sagte der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“, er sehe im NSU-Urteil keinen „Schlussstr­ich“für die Ermittlung­en.

Die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Annette Widmann-Mauz (CDU), forderte einen entschloss­enen Kampf gegen Rechtsextr­emismus. „Das Kapitel NSU ist mit dem Urteil nicht abgehakt“, sagte sie. Alle Verantwort­lichen stünden in der Pflicht, alles daranzuset­zen, dass sich solche Morde nicht wiederhole­n. Die Empfehlung­en des NSU-Untersuchu­ngsausschu­sses seien konsequent umzusetzen. Sie forderte die Zivilcoura­ge eines jeden: „Es geht darum hinzuschau­en und gegen Hass und Hetze das Wort zu ergreifen. Wir brauchen eine Kultur des Widerspruc­hs, wenn Menschen diskrimini­ertwerden. Wir brauchen eine Kultur von null Toleranz, wenn Menschen angegriffe­n werden.“Leitartike­l, Politik

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FOTO: AP Die 43 Jahre alte Beate Zschäpe war die Hauptangek­lagte im NSU-Prozess. Das Foto zeigt sie bei der Urteilsver­kündung am Mittwoch in München.

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