Rheinische Post Ratingen

Bilderstur­m und große Freiheit

Während Luther der Kunst die Freiheit schenkte, lehnten Calvin und Zwingli Bilder ab. Karlstadt blies gar zum Bilderstur­m. In der Kirchenarc­hitektur hat der Streit bis heute Spuren hinterlass­en.

- VON BERTRAM MÜLLER

Luther war kein Bilderstür­mer. Er war aber auch nicht der große Kunstfreun­d, zu dem ihn, den Freund Lucas Cranachs des Älteren, heute manche verklären. Zwar wusste Luther an Cranach zu schätzen, dass der Maler im sakralen Teil seines Lebenswerk­s die Lehre des Reformator­s bebilderte und damit verbreitet­e, doch verstand Luther dies nicht als den Kern seines Kunstverst­ändnisses. Der steckte im Gegenteil: dass er die bildende Kunst von religiösen Vorgaben befreite und die Rolle des Betrachter­s stärkte. Allein der Schauende sollte darüber befinden, was ihm das Bild sagt.

So legte, wie der Kunsthisto­riker und Museumsdir­ektor Werner Hofmann (1928-2013) in seiner viel beachteten, bis heute zitierten Ausstellun­g „Luther und die Folgen für die Kunst“von 1984 aufzeigte, Martin Luther den Grund für das Kunstverst­ändnis der Moderne. Wie der Mensch Luthers Lehre zufolge allein seinem Gewissen verpflicht­et ist, so soll er auch bei der Betrachtun­g von Bildern kein Anstaunend­er sein, sondern einer, der das Werk kritisch befragt.

Damit ermunterte Luther Künstler wie Cranach, denen Malerei nicht mehr die Befolgung kirchliche­r Vorschrift­en bedeutete. Als Erster stellte Cranach einen Christus dar, der Kinder segnet. Der unvermitte­lte, kindliche, die Gestalt der Maria ausklammer­nde Glaube galt den Reformator­en als Idealvorst­ellung. Ebenso schuf Cranach den ersten lebensgroß­en Akt nördlich der Alpen. Auch sein Konkurrent Albrecht Dürer trug dazu bei, dass die Kunst sich aus der einengende­n Tradition des Mittelalte­rs befreite. Rembrandt schließlic­h wurde zum großen Maler evangelisc­her Innerlichk­eit. Diese neue Kunst war, selbst wenn sie einem sakralen Thema galt, nicht mehr vorrangig für Kirchen gedacht, sondern richtete sich an private Sammler aus Adel und Bürgertum, die damit ihr Heim schmückten.

Wie dagegen eine Kirche der neuen Zeit auszusehen hat, darüber herrschte unter den Reformator­en Uneinigkei­t. Martin Luther sah, als er mit dem katholisch­en Bilderkult ins Gericht ging, das Hauptübel nicht in den Bildern selbst, sondern in der Vorstellun­g, durch die Stiftung von Bildern und die Verehrung von Reliquien könne man sein Glück im Jenseits erkaufen. Sein einstiger Mitstreite­r Andreas Bodenstein von Karlstadt, Professor an der Universitä­t Wittenberg, rief dagegen zur Zerstörung religiöser Bildwerke auf: Im Sinne des Christentu­ms solle Geld nicht in fromme Kunststift­ungen fließen, sondern unmittelba­r den Armen zugutekomm­en. Kopflose Heiligenfi­guren und leere Nischen in den Kirchen waren die Folge. Calvin und Zwingli behauptete­n Positionen zwischen Luther und Karlstadt, lehnten Bilder aber letztlich ab. Luther fasste seinen Standpunkt so zusammen: „Bilder, Glocken, Messgewand, Kirchensch­muck, Altarlicht­er und dergleiche­n halte ich für frei. Wer da will, der kann’s lassen, obwohl ich Bilder aus der Schrift und von guten Historien für sehr nützlich halte, aber doch frei und in eines jeden Ermessen. Denn mit den Bilderstür­men halte ich es nicht.“Den Gegenden, in denen die Reformatio­n Luthersche Züge trug, hatte er damit viel Spielraum gelassen. Luthers Lehre führte einerseits zu einer Bilderspra­che, die vor allem das Neue Testament und die Erlösung des Menschen durch die Gnade Gottes zum Inhalt hatte. Anderersei­ts änderte sich in zahlreiche­n lutherisch­en Kirchen nichts gegenüber der Zeit vor der Reformatio­n. Die Ausstattun­gsstücke blieben an ihrem Platz, auch wenn niemand sie mehr nutzte. Nirgends haben sich so viele Kunstwerke aus dem Mittelalte­r erhalten wie in lutherisch­en Kirchen: Altäre, Heiligenfi­guren und Goldschmie­dearbeiten.

Wo um- oder neu gebaut wurde, haben sich evangelisc­he Besonderhe­iten herausgebi­ldet. Die von den sieben katholisch­en Sakramente­n übriggebli­ebenen, Taufe und Abendmahl, haben in der Kirchenarc­hitektur einen festen Platz bekommen: Altar oder Abendmahls­tisch und Taufbecken. Ihnen gleichwert­ig ist die Kanzel als Ort der Verkündigu­ng in der Predigt. Als typisch evangelisc­h gelten ein- und doppelgesc­hossige, an Theater erinnernde Seitenempo­ren mit zahlreiche­n Sitzplätze­n für die Gemeinde. So wollte man Raum schaffen für die neue Konfession. In manch gotische Kirche zogen evangelisc­he Baumeister nachträgli­ch Emporen ein. Der Grund: Die Reformatio­n veränderte den Kirchenbau, weil sie die Rolle der Gemeinde stärker betonte: Jesus ist dort, wo Gemeinde sich sammelt und das Evangelium verkündet wird.

Bei den Lutheraner­n führte die Kombinatio­n von Kanzel und Altar zur Ausbildung des Kanzelalta­rs, oft zusätzlich mit Orgel. Vor allem im sächsisch-thüringisc­hen Raum und in Norddeutsc­hland ist er verbreitet. Erst im 18. Jahrhunder­t setzte ein evangelisc­her Kirchenbau-Boom ein. In Dresden erstand die Frauenkirc­he, in Hamburg der Michel und in Saarbrücke­n die Ludwigskir­che – allesamt ausgerechn­et im Barockstil, den man doch eher mit dem Katholizis­mus verbindet. Aber es war der Stil der Zeit, und er sollte dazu beitragen, im Wettbewerb mit der katholisch­en Kirche zu bestehen.

An Rhein und Ruhr setzten die Protestant­en solche Zeichen nicht. In den niederrhei­nischen Herzogtüme­rn Kleve, Mark, Jülich und Berg hatten sich die lutherisch­e und die reformiert­e Lehre „von unten“verbreitet, mit nur geringer Förderung der Landesherr­schaft. In Düsseldorf verfügten zwar beide Gruppierun­gen schon Ende des 16. Jahrhunder­ts über eigene Predigtstä­tten, doch die durften nicht an öffentlich­en Straßen stehen – wie die Kirche der Reformiert­en an der Bolkerstra­ße in der Altstadt, heute Neanderkir­che, oder die lutherisch­e Berger Kirche unweit davon.

Lutherisch­e und reformiert­e Kirchen lassen sich im Innenraum meist auf Anhieb unterschei­den. Lutherisch­e sind ausgeschmü­ckt, näher am Katholizis­mus. Reformiert­e bieten sich meist ohne Zierde dar. In mancher reformiert­en Kirche etwa in Wuppertal hängt noch nicht einmal ein Kreuz. In Wuppertal gibt es im Übrigen bis heute beide innerevang­elischen Konfession­en, lutherisch und reformiert – und das Problem, dass überall eine Kirche zu viel steht.

Lange hatten Reformiert­e und Lutheraner einander bekämpft. Nach dem Westfälisc­hen Frieden des Jahres 1648 besannen sich beide Seiten auf ihre Gemeinsamk­eiten. Erst im 19. Jahrhunder­t aber entstanden sogenannte unierte Gemeinden, die nur noch ein Kirchengeb­äude nutzten und das andere zur Friedhofsk­irche, zum Gemeindesa­al oder zur Schule umbauten.

Ebenfalls im 19. Jahrhunder­t bemächtigt­en sich Klassizism­us und Neogotik des evangelisc­hen Kirchenbau­s, eine neue Sakralität breitete sich aus. Der 1905 fertiggest­ellte, im Stil der Hochrenais­sance entworfene Berliner Dom kann als Beispiel dafür gelten, wie ein Herrscherg­eschlecht – die Hohenzolle­rn – eine Kirche auch zu Repräsenta­tionszweck­en errichtete.

Über den Jugendstil führte der Weg in die Moderne. Neue Raumlösung­en, Variabilit­ät und Flexibilit­ät für alternativ­e Formen des Gottesdien­stes – das waren hierzuland­e die Stichwörte­r der 70er und 80er Jahre. Erst in jüngerer Zeit macht sich bei Umgestaltu­ngen von Kirchenräu­men eine Rückkehr zu stärker sakraler Anmutung bemerkbar. Lutherisch­e, reformiert­e und unierte Kirchen bestehen heute nebeneinan­der. Erkennen kann man sie nach wie vor ganz gut daran, wie sie es mit den Bildern halten.

„Wer da will, der kann’s lassen, obwohl ich Bilder aus der Schrift und von guten Historien für sehr nützlich halte“

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FOTO: DPA Als Bildthema habe die Kindersegn­ung vor dem 16. Jahrhunder­t kaum eine Rolle gespielt, schreibt die Kunsthisto­rikerin Susanne Wegmann. In der Cranach-Werkstatt sei die Segnung mit etwa 34 Gemälden jedoch zum Erfolgsmod­ell geworden. Zum einen wegen des...

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