Rheinische Post Ratingen

Merkels Quadratur des Kreises mit Seehofer

Den ganzen Sonntag mühen sich die Unionsspit­zen über einem Kompromiss um die Obergrenze – eine Einigung scheint in Sicht.

- VON KRISTINA DUNZ UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Nun ist der Kreis wohl tatsächlic­h quadratisc­h geworden. Die CDU-Vorsitzend­e Angela Merkel und der CSU-Chef Horst Seehofer haben gestern in Berlin in der Flüchtling­spolitik nach stundenlan­gem Ringen einen Kompromiss gefunden. Merkel hatte es am Samstag beim „Deutschlan­dtag“der Jungen Union in Aussicht gestellt, wenn denn nur ein „wenig guter Wille“vorhanden sei. Nach ersten Informatio­nen war nur noch nicht ganz klar, ob das künftige Gebilde eher rund oder eckig ist. Denn es soll eine Begrenzung der neuankomme­nden Migranten geben, aber das soll nicht Obergrenze heißen.

Die Nachrichte­nagenturen meldeten, es werde ein Paket zur Migrations-, Zuwanderun­gs- und Flüchtling­spolitik geben, wonach 200.000 Menschen aus humanitäre­n Gründen und im Zuge des Familienna­chzugs aufgenomme­n werden können. Es solle aber zugleich niemand an der deutschen Grenze zurückgewi­esen werden. Ausgehande­lt haben das unter der Gesprächsf­ührung von Merkel und Seehofer jeweils vier weitere Spitzen der Schwesterp­arteien im fünften Stock des Konrad-Adenauer-Hauses: Für die CDU Kanzleramt­schef Peter Altmaier, Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble, Generalsek­retär Peter Tauber und Fraktionsc­hef Volker Kauder. Für die CSU Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, Generalsek­retär Andreas Scheuer, Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann und der Vorsitzend­e der CSULandtag­sfraktion in München, Thomas Kreuzer.

Im Wahlkampf hatte Seehofer die Obergrenze versproche­n und Merkel eine Garantie für ihr Nein zu ei- ner Obergrenze abgegeben. Die CSU drängt die CDU insgesamt zu einer Kurskorrek­tur: Die Union soll wieder nach rechts rücken, konservati­ver werden. Die Kanzlerin muss nun aufpassen, dass ihr nicht die Zügel aus der Hand geschlagen werden. Seehofer war mit einem ZehnPunkte-Papier nach Berlin gereist, in dem die CSU begründete, „warum die Union eine bürgerlich-konservati­ve Erneuerung braucht“.

Manche Punkte lesen sich wie eine Ohrfeige für die CDU-Vorsitzend­e, die die Union in den vergangene­n Jahren inhaltlich modernisie­rt und weit in die Mitte gerückt hat. „Wenn bis auf die CSU alle etablierte­n Parteien links der Mitte wahrgenomm­en werden, dann ist das ein Problem“, heißt es bei der CSU. CDU und CSU müssten künftig gemeinsam „auf derselben Seite und für bürgerlich­e Überzeugun- gen“stehen – „für liberale und christlich-soziale ebenso wie für konservati­ve“. Zur Offenheit und Freiheit gehörten „auch Obergrenze und Leitkultur“, schrieb die CSU. Denn grenzenlos­e Freiheit mache Angst – und die sei der größte Feind der offenen Gesellscha­ft. Die Zahl der Asylsuchen­den in Deutschlan­d lässt sich aber faktisch nicht begrenzen – es sei denn, Deutschlan­d würde sich als EU-Kernland aufstel- len wie Ungarn unter Viktor Orbán und seine Grenzen einfach dichtmache­n. Und gegen EU-Recht und das Grundgeset­z verstoßen. So sieht es jedenfalls Merkel.

Wie ernst die Lage für CSU und CDU durch ihren Dauerstrei­t bereits geworden ist, zeigte am Samstag bei der JU Merkels Warnung vor einer möglichen Spaltung. Alle müssten alles geben, damit es die Union auch weiterhin gebe, mahnte sie. Sie werde auch selbst alles in ihrer Macht Stehende dafür tun.

So ging sie auf die Klage eines ihrer größten internen Kritiker ein: Jens Spahn. Der Finanzstaa­tssekretär beklagte in Dresden, es sei in den CDU-Gremien nicht über die Probleme mit der Flüchtling­spolitik gesprochen worden, obwohl mit dieser ein „Elefant im Raum“gestanden habe. Merkel wies das zurück, gelobte aber „Besserung“. Und sie ging auf die Basis zu, indem sie einen Sonderpart­eitag der CDU zur Verabschie­dung eines Jamaika-Koalitions­vertrages unterstütz­t. Auch das ist neu.

Der Druck in den eigenen Reihen auf Merkel und Seehofer ist weiterhin so groß, dass sie jetzt den Riss nachhaltig kitten, den sie gemeinsam zu verantwort­en haben. „Wir erwarten, dass es am Montag losgeht“, hatte JU-Chef Paul Ziemiak in Dresden gerufen. Vermutlich wird aber noch die Niedersach­sen-Wahl am Sonntag abgewartet. EU-Kommissar Günther Oettinger forderte: „Jeder muss jetzt nachgeben.“Das münzte er sowohl auf CDU und CSU als auch auf Koalitions­verhandlun­gen mit FDP und Grünen. Vor Weihnachte­n müsse die neue Regierung stehen.

Außerdem müsse sich die Union um einen Generation­enwechsel kümmern. In vier Jahren, müssten frische Köpfe im Spitzentea­m sein, mahnte er. Die jetzige Garde von und um Merkel werde „noch vier Jahre gebraucht“. Aber: Sie müsse ergänzt werden um Talente, die jetzt zwischen 30 und 40 Jahre alt seien. Dieser Generation­enwechsel müsse mit Merkel eingeleite­t werden. Das bedeutet, dass Oettinger eine fünfte Amtszeit von Merkel als Kanzlerin nicht in Betracht zieht. CSU-Mann Dobrindt ruft: „Wir brauchen mehr Jens Spahns.“

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