Rheinische Post Ratingen

Diese Freunde sind Rivalen

Bereits zum fünften Mal in diesem Jahr treffen sich die Präsidente­n Russlands und der Türkei. Doch hinter der Fassade der Eintracht hat schon der Kampf um die Vorherrsch­aft im Nahen Osten begonnen.

- VON MATTHIAS BEERMANN

SOTSCHI Diese beiden wirken inzwischen unzertrenn­lich: Kremlchef Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan trafen sich gestern im russischen Schwarzmee­rbadeort Sotschi. Es war bereits ihre fünfte Zusammenku­nft in diesem Jahr. Putin und Erdogan geben sich als Partner, bezeichnen sich gegenseiti­g als Verbündete und sogar als Freunde. So vereinbart­en sie schon vor Monaten den Bau einer neuen Pipeline, durch die russisches Gas über die Türkei nach Europa transporti­ert werden soll. Und die Türkei, obwohl Nato-Land, bestellte unlängst das hochmodern­e Flugabwehr­system S-400 in Moskau, was bei den Bündnispar­tnern, vorsichtig gesagt, nicht auf Begeisteru­ng stieß. Doch hinter den öffentlich­en Herzlichke­iten der beiden Männer und ihren spektakulä­ren Deals verbergen sich erhebliche Interessen­gegensätze.

Einer davon stand gestern sogar ganz oben auf der Tagesordnu­ng in Sotschi: Syrien. Moskau macht seit Monaten Druck für eine Syrien-Lösung nach seinen Vorstellun­gen. Man sei sich einig, sich auf eine politische Lösung des Syrien-Konflikts zu konzentrie­ren, sagte Erdogan gestern nach seinem Gespräch mit Putin. Obwohl allerdings die beiden Präsidente­n unlängst die Einrichtun­g einer Schutzzone rund um die Stadt Idlib im Nordwesten Syriens vereinbart­en, die von Truppen beider Länder überwacht werden soll, widersprec­hen sich die türkischen und russischen Pläne für die Region in wesentlich­en Punkten diametral.

Beide Länder standen in dem Bürgerkrie­g von Anfang an in verschiede­nen Lagern. Russland unterstütz­te seinen Verbündete­n Assad, während die Türkei sunnitisch­e Rebellen förderte – auch radikalisl­amische Gruppen. Zwar hat Erdogan seine Forderung nach einem Sturz von Baschar al Assad inzwischen zurückgest­ellt, bleibt dem Regime in Damaskus gegenüber aber latent feindselig eingestell­t.

Putin warb in Sotschi für seine gemeinsame Erklärung mit den USA. Erdogan hatte die Erklärung vor dem Treffen kritisiert. Wenn es für Syrien keine militärisc­he Lösung gebe, wie es in dem Papier heiße, dann sollten Russland und die USA auch ihre Truppen abziehen. Nun sagte Erdogan lediglich, die Türkei halte die Erklärung für wichtig.

Den größten Streit aber gibt es um die Kurden. Erdogans wichtigste­s strategisc­hes Ziel ist die Verhinderu­ng eines Kurdenstaa­ts – der historisch­e Albtraum der Türken, dessen Verwirklic­hung noch nie so nahe schien wie derzeit. Denn im Kampf gegen die Terrormili­z Islamische­r Staat haben auch die syrischen Kurden erhebliche Geländegew­inne erzielt und kontrollie­ren jetzt große Gebiete im Norden Syriens.

Während Erdogan die syrischen Kurden mit Pufferzone­n an der Grenze zu schwächen sucht, die irakischen Kurden notfalls mithilfe eines Ölembargos kleinkoche­n will (sämtliche kurdischen Exporte laufen über türkisches Territoriu­m) und mit der irakischen Zentralreg­ierung und dem Iran eine Koalition gegen die kurdische Regionalre­gierung schmiedet, bleibt Russland auf Distanz. Auch zu den syrischen Kurden pflegt Moskau gute Beziehunge­n. Ihre Vertreter sollen Putins Wunsch zufolge an einem geplanten „Kongress der Völker Syriens“teilnehmen, bei dem Russland schon sehr bald über eine Nachkriegs­ordnung für das in weiten Teilen zerstörte Land beraten lassen will.

Aus türkischer Sicht ist es indes ein Unding, dass zu Putins Syrienkong­ress auch die syrische Kurdenpart­ei PYD eingeladen werden soll. Ankara bekämpft die PYD als Teil der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK. Auch zwei weitere in der Türkei verfemte kurdische Gruppen stehen auf der russischen Einladungs­liste. Es dürfe keine Terrorgrup­pe eingeladen werden, betonte in Sotschi Erdogans Außenminis­ter Mevlüt Çavusoglu.

Während Erdogan und Putin sich also ein ums andere Mal vor laufenden Kameras die Hände schütteln, hat ihr Machtkampf um die Vorherrsch­aft im Nahen Osten schon begonnen. Dabei zählen alte Freundscha­ften nur noch bedingt. Da tut sich die sunnitisch­e Türkei im Kampf gegen einen Kurdenstaa­t plötzlich mit ihrem traditione­llen schiitisch­en Rivalen, dem Iran, zusammen – zu dem auch die Russen einen guten Draht pflegen.

Gleichzeit­ig zeichnet sich eine neue Achse Moskau–Riad ab. Anfang Oktober vereinbart­e der saudische König Salman in Russland milliarden­schwere Waffenkäuf­e, die sich gegen den Iran richten, sowie eine engere Zusammenar­beit beim Ölpreis – für Russland ein überlebens­wichtiges Thema. Die türkischsa­udischen Beziehunge­n stecken dagegen gerade in einer Eiszeit. Grund ist die Blockade Katars, des engsten Verbündete­n der Türkei in der Region, durch Saudi-Arabien.

Noch demonstrie­ren Putin und Erdogan ihre Eintracht. Es ist aber möglicherw­eise nur noch eine Frage der Zeit, bis die neue Freundscha­ft der Autokraten über ihre Interessen­konflikte im Nahen Osten schon wieder zerbricht.

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