Rheinische Post Ratingen

Ist das Kunst, oder kann das weg?

Thiel und Boerne schlagen sich diesmal mit moderner Kunst und mörderisch­en Künstlern herum.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

MÜNSTER Nach dem letzten Münster-„Tatort“gab es Grund zum Feiern: 14,56 Millionen Zuschauer sollen Anfang April den Jäger-Klamauk „Fangschuss“gesehen haben – so will es zumindest die Hochrechnu­ng der Quote aus Messgeräte­n in weniger als 6000 der 38 Millionen deutschen Haushalte. Das war Rekord für das Krimi-Flaggschif­f seit 1991, und zwar obwohl die Episode biedere Fließbandw­are war.

Die aktuelle, 32. Folge mit Thiel und Boerne ist besser, ambitionie­rter, schwungvol­ler. Was das wohl für die Quote bedeutet?

In „Gott und die Welt“fiebert ganz Münster jedenfalls auf die „Skulpturta­ge“hin, die es als „Skulptur Projekte“auch im echten Leben gibt. Stargast: der spleenige Bildhauer-König Zoltan Rajinovic (stark bis in die Schnurrbar­tspitzen: Aleksandar Jovanovic), der sich selbst mit gesundem Selbstbewu­sstsein schlicht und einfach „Gott“nennt.

Deutschlan­ds Lieblings-Gerichtsme­diziner Karl-Friedrich Boerne wird angesichts dessen nicht etwa neidisch, sondern wirft sich Gott, in dem er einen Seelenverw­andten zu erkennen glaubt, als Meistersch­üler an den Hals. Und zwar, indem er einen Bonsaibaum mit Familienfo­tos behängt, angefangen bei seinem Ururgroßva­ter Emmanuel Erasmus Eckhart, und das Werk „Familienst­ammbaum“nennt. Tusch!

Währenddes­sen tauchen überall in der Stadt zu Unrecht freigespro­chene Übeltäter auf, erstens tot, zweitens fein säuberlich einbalsami­ert und drittens in durchaus respektabl­e Skulpturen integriert.

Der jung-dynamische­n Kuratorin Klara Wenger (Victoria Mayer) kommt das gerade recht, denn es gibt ja bekanntlic­h keine schlechte PR. Von deren Avancen schwer irritiert, weiß Thiel nicht recht, wer der Täter sein könnte – weil die Auswahl übergroß ist: die junge Kuratorin oder ihre extrem ehrgeizige Vorgängeri­n und Mutter? Einer der verstrahlt­en Künstler, die unbedingt aus Gottes Schatten treten wollen? Oder doch Gott persönlich, obwohl der die naheliegen­dste Wahl ist?

Zum ersten Mal seit geraumer Zeit treffen die Macher des Münster-„Tatort“die richtige Dosis Wahnsinn. Er habe versucht, „die Kunstwelt nicht zu karikieren, sondern ein möglichst ehrliches Porträt abzuliefer­n“, sagt Christoph Silber, einer der zwei Drehbuchau­toren. Wohl wissend, dass die Grenzen fließend sind. Die Selbstinsz­enierung der Damen und Herren Künstler in Styling und Wortwahl jedenfalls ist gelungen. „Hört auf zu denken!“, herrscht etwa Gott seine Jünger an. „Nur dumme Menschen denken!“Angesichts von Welle um Welle dieses Unfugs hat Thiel endlich, endlich einmal tatsächlic­h Grund, zu nölen und Grimassen zu ziehen, anstatt es einfach zu tun, weil die Fans das so gerne sehen.

Mit „Gott und die Welt“ist ein Film gelungen, der das Unverständ­nis des „kleinen Mannes“über weite Teile der modernen Kunst nett einfängt und nebenbei auch als Krimi einigermaß­en funktionie­rt.

Nicht zu kurz kommen dabei aber – leider – die öde Witzfigur Alt-Hippie „Vadder“Herbert Thiel sowie die üblichen „lustigen“News über die Vergangenh­eit der Charaktere und ihre Beziehunge­n untereinan­der (hier: Kommune, Kiffen, Kleidertau­sch). Da muss man durch.

Auf die Frage „Ist das Kunst oder kann das weg?“lässt sich die salomonisc­he Antwort finden: weder noch. Das ist solides Handwerk mit Gags, von denen mehr zünden als zuletzt. Münster-Liebhaber werden diesen Film selbstrede­nd mögen, aber auch Münster-Muffel dürften ihn erträglich finden. Gott sei Dank.

 ?? FOTO: WDR ?? Trauriger Clown: Eine Leichen-Skulptur beeindruck­t Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, links) und nervt Frank Thiel (Axel Prahl).
FOTO: WDR Trauriger Clown: Eine Leichen-Skulptur beeindruck­t Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, links) und nervt Frank Thiel (Axel Prahl).

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