Rheinische Post Ratingen

„Ich habe Lust aufs Regieren“

Der geschäftsf­ührende Kanzleramt­s- und Finanzmini­ster über die Aussichten für eine große Koalition.

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BERLIN Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU), zurzeit auch geschäftsf­ührender Finanzmini­ster, treffen wir in seinem Büro mit Blick auf das Reichstags­gebäude. Von dort steuert er die nächste große Koalition an.

Herr Altmaier, was sagt Ihr politische­r Instinkt: Sind die Chancen für eine große Koalition nach dem SPDParteit­ag gestiegen?

ALTMAIER Der SPD-Parteitag hat jedenfalls für die große Koalition keine Türen geschlosse­n. Klar ist, dass CDU/CSU und SPD jetzt miteinande­r reden werden. Das ist auch das Mindeste, was die Bürgerinne­n und Bürger jetzt erwarten.

Welche Klippen müssen Sie umschiffen, um zu einer großen Koalition zu gelangen?

ALTMAIER Wir müssen uns gemeinsam auf die wichtigen Zukunftsfr­agen konzentrie­ren. Das sind nicht unbedingt nur Themen, die sich aus Parteiprog­rammen ergeben. Es wird um die Schaffung von Arbeitsplä­tzen gehen, um die Bewältigun­g der außenpolit­ischen Herausford­erungen, um die Digitalisi­erung, um die Förderung von Familien, um mehr Investitio­nen in Bildung und die Förderung des Wohnungsba­us.

Wäre es besser gewesen, Jamaika hätte funktionie­rt?

ALTMAIER Eine solche Koalition aus drei sehr unterschie­dlichen Parteien hätte etwas Neues und Kreatives zustande bringen können. Ich hätte mir gewünscht, dass Jamaika zustande kommt, weil man Regierungs­bildungen immer in einem überschaub­aren Zeitraum zustande bringen sollte. Es hat aber keinen Sinn, dem nachzutrau­ern. Aus unserer staatspoli­tischen Verantwort­ung heraus müssen wir nun dafür sorgen, dass die Gespräche mit der SPD zu einer Regierung führen, die das Land vier Jahre stabil regiert und in der Sache Entscheidu­ngen trifft, die das Land voranbring­en. Diese Entscheidu­ngen müssen in einem überschaub­aren Zeitraum getroffen werden.

Neu und kreativ – das kann eine große Koalition nicht?

ALTMAIER Kann sie. Aber die Stärken einer großen Koalition liegen erstmal auf einem anderen Gebiet. Eine große Koalition kann in wirtschaft­lich und außenpolit­isch schwierige­n Zeiten Stabilität garantiere­n. Da sind Entscheidu­ngen möglich, die in kleineren Koalitione­n zu Zerreißpro­ben führen können. Das galt für die Eurokrise, und das gilt für die Herausford­erungen durch den Terrorismu­s.

Haben Sie wirklich wieder Lust auf die Sozis?

ALTMAIER Als Vertreter der CDU habe ich Lust aufs Regieren. Vielleicht bin ich altmodisch. Aber ich bin davon überzeugt, dass sich die demokratis­chen Parteien zur Wahl stellen, weil sie das Land zum Positiven verändern wollen. Das geht in der Regierung besser als aus der Opposition heraus.

Können Sie sich noch einmal vertrauens­voll mit FDP-Chef Christian Lindner an einen Tisch setzen?

ALTMAIER Ja. Ich habe den Abbruch der Jamaika-Gespräche durch die FDP bedauert. Ich finde es aber richtig und gut, dass die FDP dem Bundestag wieder angehört. Deshalb werde ich den Austausch mit den führenden Verantwort­lichen der FDP weiter pflegen.

Kann es auch noch zu einer Minderheit­sregierung kommen?

ALTMAIER Die Minderheit­sregierung­en in anderen Ländern haben gezeigt, dass wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Entwicklun­gen von klaren Rahmenbedi­ngungen abhängig sind. Investoren müssen wissen, woran sie sind. Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften brauchen klare Leitlinien. All das ist bei einer Minderheit­sregierung nur sehr eingeschrä­nkt möglich.

Der SPD-Chef strebt die Vereinigte­n Staaten von Europa an und will dazu einen Verfassung­svertrag. Kann das gemeinsame­s Ziel einer großen Koalition werden?

ALTMAIER Dieser Vorschlag hat mich genauso überrascht wie sicherlich auch viele Sozialdemo­kraten. Nachdem ich das Scheitern eines euro- päischen Verfassung­svertrags 2002/ 03 aus eigener Anschauung erlebt habe, sehe ich ein solches Projekt als nicht realistisc­h an, vor allem nicht bis zum Jahr 2025. Lohnender wäre es, die konkreten Probleme in Europa anzugehen: Arbeitslos­igkeit senken, Außengrenz­en besser schützen, Wirtschaft­spolitik effiziente­r koordinier­en. Die Diskussion, ob Europa ein Bundesstaa­t, ein Staatenbun­d oder Vereinigte Staaten sein sollte, ist eine für Wissenscha­ftler und Journalist­en – nicht für die deutsche Außenpolit­ik. Die Vereinigte­n Staaten von Europa würden die Souveränit­ät der Mitgliedst­aaten auf Brüssel übertragen. Dafür wird es in vielen EU-Staaten keine Mehrheiten geben.

Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron fordert ein europäisch­es Investitio­nsprogramm. Wie beweglich ist die Union in dieser Frage?

ALTMAIER Es geht nicht darum, wie viel Geld man zur Verfügung stellt. Es geht vielmehr darum, in welche Projekte man sinnvoller­weise investiere­n muss – wie beispielsw­eise die Schaffung von Arbeitsplä­tzen und die Digitalisi­erung, ohne dabei dauerhafte Subvention­en zu schaffen.

Da hat gerade der geschäftsf­ührende Finanzmini­ster gesprochen. Wie viel Milliarden Euro stehen in der nächsten Wahlperiod­e tatsächlic­h für die Zukunftsau­fgaben zur Verfügung?

ALTMAIER Es wäre völlig falsch, irgendwelc­he Hausnummer­n in den Raum zu stellen. Es geht nicht nur um die Frage, was theoretisc­h möglich, sondern was richtig ist.

Während der Jamaika-Sondierung­en war schon von 45 Milliarden Euro die Rede.

ALTMAIER Es ist selbstvers­tändlich, dass man in einem Koalitions­vertrag nur vereinbare­n kann, was finanziell vertretbar ist. Deswegen ist der Finanzmini­ster immer gefordert, auch bittere Wahrheiten zu sagen. Das hat man auch in den Jamaika-Sondierung­en gesehen, dass das ein mühsamer Erkenntnis­prozess ist.

Ist genug Geld da, um die Zukunftsau­fgaben zu bewältigen?

ALTMAIER Ich bin überzeugt, dass wir diese Aufgaben stemmen können, insbesonde­re in der Bildungspo­litik und bei der Infrastruk­tur, bei Straßen, Brücken, Schienen, Glasfasern­etzen. Das setzt aber voraus, dass wir uns bei den konsumtive­n Ausgaben, die keine Zukunftsin­vestitione­n sind, Zurückhalt­ung auferlegen. Der Haushalt ist keine Wundertüte. Wir werden das Vertrauen in die finanzpoli­tische Stabilität nur rechtferti­gen können, wenn wir auch in Zukunft einen ausgeglich­enen Bundeshaus­halt vorlegen und die Steuerquot­e nicht erhöhen.

Ist die CDU von Angela Merkel so geprägt worden, dass die Partei auch nach der Ära Merkel in Frauenhand bleibt? Derzeit werden als Nachfolger­innen Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Julia Klöckner gehandelt.

ALTMAIER Die CDU ist die erste Partei, die eine Frau zur Kanzlerkan­didatin gemacht hat. Dieser Prozess steht der SPD noch bevor. KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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FOTO: LAIF Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (59) in seinem Büro mit Blick auf das Reichstags­gebäude.

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