Rheinische Post Viersen

Was von No-drama-Obama bleibt

Unser Korrespond­ent in Washington zieht Bilanz über acht Jahre einer außergewöh­nlichen US-Präsidents­chaft.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Es riecht nach Salz vom Meer, schattige Wege unter ausladende­n Bäumen führen zu weiß getünchten Gebäuden. Dekorative Palmen dürfen nicht fehlen, der Blick geht auf grüne Hügel, die das nahe Manoa Valley säumen. Es dürfte nicht viele Schulen geben, die es mit dem Postkarten­idyll der Punahou School aufnehmen könnten. Der prestigetr­ächtigsten Privatschu­le Hawaiis, deren Name so viel bedeutet wie „neuer Frühling“. Ein Paradies. Barack Obama hat einst hier gelernt.

Vielleicht muss man wirklich nach Honolulu fliegen, um Obama zu verstehen. Um zu begreifen, warum er als Präsident so unaufgereg­t wirkte, das Kontrastpr­ogramm zu seinem Nachfolger Donald Trump, dem polternden Milliardär und Wutbürger. Dass er so gelassen sei, hat er dieser Tage dem Magazin „National Geographic“erklärt, habe auch mit dem Ort seiner Geburt zu tun. Nun, er stamme aus Hawaii, wo man jederzeit in den Ozean springen könne und das Leben in ziemlich harmonisch­en Bahnen verlaufe. Die Stadt Honolulu liegt mitten im Pazifik, Tokio ist näher als New York. Wer aus Hawaii kommend eine Karriere im Festlandsa­merika anstrebt, muss sich dort wohl für lange Zeit wie ein Exot fühlen.

Denn gelassen ist nichts am amerikanis­chen Diskurs. So gesehen wirkt „No-drama-Obama“, wie seine Berater ihn nennen, als fremdele er mit dem Politikbet­rieb Washington­s. Als wäre er ein neugierige­r Beobachter, der von außen auf sein Land schaut und sich manchmal nur wundern kann. Der Satz, mit dem er 2004 auf dem Parteitag der Demokraten in Boston auf der Bühne der Politik erschien, ist zwar unendlich oft zitiert worden, doch beim Versuch, eine Bilanz der Obama-Jahre zu ziehen, führt kein Weg an ihm vorbei. „Ein liberales Amerika und ein konservati­ves Amerika gibt es nicht, es gibt die Vereinigte­n Staaten von Amerika. Ein schwarzes Amerika und ein weißes Amerikas, ein Amerika der Latinos und ein asiatische­s Amerika gibt es nicht, es gibt die Vereinigte­n Staaten von Amerika.“Es war sein Credo, nichts daran war gekünstelt. Jemand, der mitten im Pazifik aufwuchs, mag sie tatsächlic­h als grotesk empfinden, die politische Spaltung in Washington, die Schluchten zwischen Demokraten und Republikan­ern, die von Wahl zu Wahl tiefer werden.

Als Obama im Februar vor zehn Jahren an den Start des Kandidaten­rennens ging, hatte ich gerade angefangen als USA-Korrespond­ent. Klirrende Kälte in Springfiel­d, Illinois. Auf den Stufen des Old State Capitol sprach der aufstreben­de Senator von Abraham Lincoln, der 1858 an gleicher Stelle mit Worten für die Geschichts­bücher die Sklaverei verdammt hatte. „Wo Lincoln ein geteiltes Haus aufrief zusammenzu­stehen, stehe ich heute vor euch und gebe meine Kandidatur für die Präsidents­chaft bekannt“, sagte Obama. Mit brillanten Reden weckte er die Erwartung, mit ihm würde ein zweiter Lincoln im Weißen Haus einziehen, zumindest ein zweiter John F. Kennedy. Oder eine Art Ronald Reagan der Linken, der die Gesellscha­ft umkrempeln würde, wie Reagan es in den 80er Jahren getan hatte. Nur eben in die andere Richtung. Wähler, die im November 2008 noch geglaubt hatten, sie delegierte­n einen kühnen Reformer in die Machtzentr­ale, sahen sich bald eines Besseren belehrt. So inspiriere­nd Obama am Rednerpult wirkte – im Regierungs­alltag entpuppte er sich als Pragmatike­r der kleinen Schritte. Überaus gründlich abwägend, handelte er in aller Regel mit der Vorsicht des Rechtsgele­hrten, der er mit dem Studium in Harvard geworden war.

Obama überließ es Bankern der Wall Street, nach der Finanzkris­e neue Regeln für die Wall-Street-Banken aufzustell­en. Das Gefangenen­lager Guantánamo, das er binnen eines Jahres zu schließen versprach, wurde auch deshalb nicht geschlosse­n, weil der Präsident nur halbherzig dafür kämpfte. Die Gesundheit­sreform, die er 2010 im Kongress durchsetzt­e, entsprang einem Kompromiss mit den Versicheru­ngskonzern­en, und am Ende stellte sie keinen zufrieden. Warum er nicht entschloss­ener eintrat für seine Agenda? Man dürfe den kulturelle­n Kontext nicht vergessen, gibt Nell Painter zu bedenken, Professori­n in Princeton, eine der führenden Historiker­innen der USA. Die weißen Mittelschi­chten seien ihm, dem schwarzen Mann im Weißen Haus, mit latentem Misstrauen begegnet. Vielleicht habe er sich deshalb nicht getraut, manches von dem in Angriff zu nehmen, was er im Wahlkampf angekündig­t hatte.

Und doch: Ohne Obamacare, die Gesundheit­sreform, mit deren Abschaffun­g das Repräsenta­ntenhaus gestern begann, wären noch 20 Millionen Amerikaner, die mittlerwei­le krankenver­sichert sind, ohne jeglichen Schutz. Ohne das Konjunktur­paket von 2009 hätte sich womöglich die Große Depression der 30er Jahre wiederholt. Ohne die liberale Haltung des „Regenbogen­präsidente­n“hätte es womöglich länger gedauert, bis der Oberste Gerichtsho­f die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe legalisier­te.

In Syrien zog Obama eine rote Linie, die ohne Konsequenz­en blieb, als Chemiewaff­en eingesetzt wurden. Militärisc­h einzugreif­en kam für ihn nicht infrage, nicht nach den Erfahrunge­n des Krieges im Irak. Dass er 2011 in Libyen intervenie­rte, um den Autokraten Muammar al Gaddafi zu stürzen, bezeichnet­e er im Nachhinein als schweren Fehler. Die Normalisie­rung mit Kuba war überfällig. Wirklich gekämpft hat er für das Atomabkomm­en mit dem Iran, seinen vielleicht größten Erfolg, errungen gegen härtesten Widerstand.

Alles in allem ist es eine gemischte Bilanz. Als ihm klar war, dass ihm die Republikan­er mit ihrer Mehrheit im Parlament innenpolit­isch keine großen Sprünge mehr gestattete­n, prägte er die Metapher vom Staffelläu­fer. Man übernehme den Stab und reiche ihn nach vier oder acht Jahren weiter. Es sei ein langes Rennen, man könne schon zufrieden sein, wenn man das Land in besserem Zustand übergebe, als man es übernommen habe.

Dann wäre da noch die Stilikone Barack Obama. Mit welcher Leichtigke­it er durch den politische­n Alltag spazierte, die Worte so elegant wie sein Auftreten, beeindruck­te selbst seine Gegner. Cool bis in die Haarspitze­n. Nur einmal sah man, wie die Emotionen ihn übermannte­n. Nach dem Amoklauf eines geistig Verwirrten an der Sandy-Hook-Grundschul­e 2012 in Newtown war ihm anzumerken, wie sehr ihn die Tragödie schockiert­e. Gegen Tränen ankämpfend, sprach er von den toten Kindern, von Erstklässl­ern, die ihr gesamtes Leben noch vor sich hatten, „Geburtstag­e, Abschlussf­eiern, Hochzeiten, eigene Kinder“. Dass er scheiterte bei dem Versuch, die Waffengese­tze zu verschärfe­n, ist nach Obamas Worten der Punkt, der ihn nach acht Jahren im Amt am meisten frustriert.

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FOTO: WHITE HOUSE/PETE SOUZA Der lässigste Präsident, den die USA je hatten: Barack Obama 2016 am Schreibtis­ch im Oval Office des Weißen Hauses in Washington.
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FOTO: HERRMANN Frank Herrmann berichtet seit zehn Jahren für unsere Zeitung aus Washington.

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