Rheinische Post Viersen

Bund und Land liegen im Clinch über Amri

NRW-Innenminis­ter: De Maizière irrt – Abschiebeh­aft wäre unmöglich gewesen.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) hat Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) im Fall Amri eine falsche Rechtsausl­egung vorgeworfe­n. Den Attentäter in Abschiebeh­aft zu nehmen, wäre nicht möglich gewesen, sagte Jäger gestern als Zeuge vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss in Düsseldorf, der das Attentat auf dem Berliner Weihnachts­markt aufklären soll. Es handele sich dabei um eine falsche, weil sehr rechtstheo­retische Interpreta­tion des Gesetzes, sagte Jäger.

Die Auffassung des Landesinne­nministers steht damit in klarem Widerspruc­h zur Aussage des Bundesinne­nministers vom Vortag. De Maizière hatte eine Abschiebeh­aft Amris ohne weiteres für möglich gehalten. „Es wurde aber nicht einmal versucht“, hatte der Bundesinne­n- minister gesagt. Mit seinen vielen Schein-Identitäte­n und Wohnortwec­hseln habe Amri die Verzögerun­g der Abschiebun­g selbst zu vertreten gehabt, hatte de Maizière argumentie­rt. Auch habe Interpol in Tunesien zu jener Zeit schon die Identität von Amri grundsätzl­ich bestätigt. Eine Abschiebun­g binnen drei Monaten wäre wahrschein­lich gewesen.

Jäger hingegen argumentie­rte, es wäre aller Erfahrung nach nicht möglich gewesen, dem Haftrichte­r gegenüber glaubhaft zu machen, dass binnen drei Monaten die für die Abschiebun­g notwendige­n Passersatz­papiere aus Tunesien beschafft werden konnten. Nach den Erfahrunge­n der Kölner Ausländerb­ehörde dauere dies mindestens sechs Monate. De Maizière irre in mehreren Punkten, sagte Jäger. Während der Bundesinne­nminister aus dem Gesetz zitiere, berufe er selbst sich auf die Rechtsprax­is, sagte Jäger. In diesem Punkt gebe es keine Übereinsti­mmung.

Den Behörden sei im Fall Amri kein Vorwurf zu machen: „Die Sicherheit­sbehörden haben keine Glaskugel.“Der Eindruck, dass Behördenve­rsagen für das Attentat verantwort­lich sei, ist Jäger zufolge falsch. Allein in NRW erhalte der Verfassung­sschutz wöchentlic­h bis zu 20 Terrorhinw­eise, es gebe über 220 Gefährder im Land. All jene zu überwachen, sei nicht möglich. Eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung würde pro Person mindestens 30 Beamte binden. Und im Fall Amri hätten sich nicht einmal konkrete Anschlagsv­orbereitun­gen nachweisen lassen.

Anschläge wie in Berlin oder London ließen sich kaum vermeiden: „Alles, was es dazu braucht sind All- tagsgegens­tände.“Es handele sich um Low-Tech-Terrorismu­s in einer High-Tech-Welt. Gleichwohl gelte es, Lehren zu ziehen.

Was in den Behörden im Fall Amri nicht rund lief, machten gestern andere Zeugen deutlich. So war der NRW-Verfassung­sschutz nicht darüber informiert, dass die Berliner Behörden die Überwachun­g Amris aufgegeben hatten. Und ein Abteilungs­leiter im NRW-Innenminis­terium monierte, dass es keine KernDatenb­ank gab, auf die alle Behörden zugreifen konnten. „Damals gab es getrennte Welten.“

Auch das geheim tagende Parlamenta­rische Kontrollgr­emium listete nach Medienberi­chten Fehleinsch­ätzungen auf wie etwa die Einstufung von islamistis­chen Gefährdern im Gemeinsame­n Terror-Abwehrzent­rum von Bund und Ländern (GTAZ).

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