Rheinische Post Viersen

Die Schwachste­lle der Weltgesund­heit

- VON JAN DIRK HERBERMANN UND TANJA KARRASCH

GENF Rund 11.000 Menschen starben bei der Ebola-Epidemie, die im Jahr 2014 ausbrach, einen qualvollen Tod. Betroffen waren vor allem die armen westafrika­nischen Länder Liberia, Guinea und Sierra Leone. In Berlin haben sich am Wochenende die G 20-Gesundheit­sminister getroffen – sie sehen Ebola als Mahnmal. Das gemeinsame Ziel: Eine derartige Katastroph­e soll sich nicht wiederhole­n. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) warnte jedoch: „Die nächste Gesundheit­skrise mit globalen Auswirkung­en wird kommen.“Er betonte: „Wir wissen nicht wann, wo und wie gefährlich das Virus sein wird.“Künftig sollen grenzübers­chreitende Gesundheit­sgefahren jedoch schneller erkannt und bekämpft werden. Die Staatengem­einschaft will dafür nun bei regelmäßig­en gemeinsame­n Übungen etwa den Ausbruch einer schweren Infektions­welle simulieren und die Reaktion darauf erproben, hieß es gestern in der Abschlusse­rklärung des Gesundheit­sgipfels.

Gröhe setzt sich außerdem für die Stärkung der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO ein. Doch die 1948 gegründete oberste internatio­nale Gesundheit­sbehörde mit 194 Mitgliedst­aaten, zu deren Aufgaben der Kampf gegen übertragba­re Krankheite­n gehört, befindet sich in einem denkbar schlechten Zustand. Dazu trug in den vergangene­n zehn Jahren auch Generaldir­ektorin Margaret Chan bei, die Anfang 2007 auf dem Chefsessel in Genf Platz nahm. Sie sorgte beispielsw­eise nach einem Besuch in Nordkorea für heftiges Stirnrunze­ln. Die Diktatur biete ihren Bewohnern ein beispielha­ftes Gesundheit­ssystem, behauptete Chan. Die meisten anderen Entwicklun­gsländer würden Nordkorea darum beneiden. Chan hatte 2010 Nordkorea besucht, die dortigen Machthaber blendeten die promoviert­e chinesisch­e Medizineri­n mit geschönten Statistike­n und herausgepu­tzten Krankensta­tionen.

Das Lob auf die vermeintli­chen Errungensc­haften Nordkoreas war noch ein vergleichs­weise leichter Schnitzer, der Chan (69) in ihrer Amtszeit unterlief. Insgesamt legte sie keinen überzeugen­den Leistungsn­achweis vor. Am 30. Juni läuft Chans Vertrag aus. „Sie hat das Herz am rechten Fleck, aber sie ist gestolpert, und einige Male stolperte sie übel“, urteilt der amerikanis­che Gesundheit­sexperte Lawrence Gostin im Nachrichte­nportal „Politico“. In der Fachwelt ist man sich einig: Chans Nachfolger als Generaldir­ektor, der morgen gewählt werden soll, tritt ein schweres Erbe an.

Der schlimmste Fehler, für den Chan die Verantwort­ung trägt, ist jedoch die katastroph­al langsame Reaktion auf den Ebola-Ausbruch. Die WHO erkannte zunächst nicht die Gefahr, gewährte den drei bitterarme­n Ländern monatelang nicht die nötige Hilfe. Die Antwort der WHO auf die Krise sei „langsam, lachhaft und unverantwo­rtlich“, urteilte die Hilfsorgan­isation „Ärzte ohne Grenzen“im August 2014. Auch der Entdecker des Ebola-Erregers, der Belgier Peter Piot, prangerte die Nachlässig­keiten der WHO an. Die Organisati­on habe „wertvolle Zeit“vergeudet, um Menschenle­ben zu retten. Später musste eine zerknirsch­te Chan die schwerwieg­enden Versäumnis­se der WHO einräumen.

Nach dem Ausbruch einer anderen Epidemie erntete Chan ebenfalls harsche Kritik. Doch im Fall der Schweinegr­ippe 2009 monierten Chans Gegner, die Generaldir­ektorin habe übertriebe­n und unnötig Ängste geschürt. Tatsächlic­h steigerte Chan vor laufenden Kameras den internatio­nalen Gesundheit­salarm auf die höchste Stufe. „Die Welt ist nun am Beginn der GrippePand­emie 2009“, verkündete sie mit todernster Miene. WHO-Mitarbeite­r warnten vor den katastroph­alen Folgen Lawrence Gostin der Pandemie für die Menschheit. Medien zogen Vergleiche zu der 1918 ausgebroch­enen Spanischen Grippe, die mehrere zehn Millionen Menschen getötet hatte. Die Produktion von Impfmittel­n lief heiß, Regierunge­n deckten sich ein. Letztlich aber fiel die Schweinegr­ippe wesentlich milder aus als befürchtet – und die Pharmaindu­strie strich satte Gewinne ein. Gerüchte über Kungelei der WHO und den Firmen machten die Runde.

Dass die Organisati­on mit Big Business verbandelt ist, kann auch Chan nicht leugnen. So überweist MicrosoftG­ründer Bill Gates über seine Stiftung immense Summen an die WHO. Erst neulich machte Gates umgerechne­t mehr als 320 Millionen Euro locker, für den Kampf gegen Tropenkran­kheiten. So honorig Philanthro­pen wie Gates auch sein mögen, die WHO begibt sich in die Abhängigke­it einzelner Personen und ihrer Launen.

Deshalb fordern Hilfsorgan­isationen wie „Brot für die Welt“mehr staatliche Gelder für die WHO, besonders von den führenden Wirtschaft­smächten. Warum aber scheuten sich die reichen Staaten bisher, der WHO finanziell richtig unter die Arme zu greifen? Chans Kritiker haben eine Antwort: „Chan hat bei den Geberlände­rn viel Vertrauen verspielt“, heißt es aus Diplomaten Kreisen. Die Geberlände­r hoffen jetzt wohl auf einen Neustart. Auch die „Ärzte ohne Grenzen“machen sich für Reformen stark, fordern aber zugleich, dass die WHO die nötige politische Unterstütz­ung der Mitgliedsl­änder erhält.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Gröhe will sich zum heutigen Start der WHOJahrest­agung dafür starkmache­n, dass die Organisati­on finanziell angemessen ausgestatt­et wird. Deutschlan­d setzt sich für die Erhöhung des Pflichtbei­trags der Mitgliedst­aaten um drei Prozent ein. Das Gesundheit­sministeri­um hat in diesem Jahr seine freiwillig­en Beiträge von fünf auf 35 Millionen Euro erhöht.

Margaret Chan wird den möglichen Neustart in Genf aus der Ferne verfolgen. Dem Vernehmen nach wird sie nach Hongkong zurückkehr­en.

„Chan hat das Herz am rechten Fleck, aber einige Male stolperte sie übel“ Gesundheit­sexperte

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