Rheinische Post Viersen

Für wen sich ein duales Studium eignet

Das duale Studium ist gefragt wie nie. Seit 2004 bis heute hat sich die Zahl mehr als verdreifac­ht. Doch Vorsicht: Das Modell erfordert von den Studierend­en über mehrere Jahre viel Einsatz – und die Bereitscha­ft, auf einen Großteil der Freizeit zu verzich

- VON SABINE MEUTER

Lange ausschlafe­n kann Annabella Peekhaus am Wochenende selten. Während Gleichaltr­ige samstags ihre Freizeit genießen, besucht die 22-Jährige die Fachhochsc­hule der Wirtschaft ( FHDW) in Bergisch Gladbach. Die junge Frau hat sich für ein duales Studium entschiede­n, konkret: Sie absolviert das knapp dreijährig­e Ausbildung­sund Studienpro­gramm Wirtschaft­sinformati­k (WIN) beim Pharma- und Chemiekonz­ern Bayer in Leverkusen. Das heißt, sie nimmt innerhalb der fast 36 Monate nicht nur an Vorlesunge­n teil, sondern sie drückt auch die Bank in der Berufsschu­le – und arbeitet als Fachinform­atiker-Auszubilde­nde im Unternehme­n mit. Das klingt anspruchsv­oll – und das ist es auch.

„Ausschlagg­ebend war für mich der unmittelba­re Praxisbezu­g“, erzählt Peekhaus. An einer Universitä­t nur Theorie büffeln und das Wissen erst nach dem Abschluss im Berufsallt­ag anwenden – diese Vorstellun­g gefiel ihr nicht. Aber auf ein Studium zugunsten einer klassische­n Ausbildung verzichten wollte sie auch nicht. So entschied sie sich, beides zu kombiniere­n.

Ein duales Studium ist für beide Seiten ein Gewinn – für das Unternehme­n, das bedarfsger­echt hochqualif­izierte Fachkräfte ausbildet und sie frühzeitig an sich bindet, aber auch für die jungen Leute selbst. „Die Abiturient­en schätzen neben der Praxisnähe vor allem, dass sie während des Studiums schon Geld verdienen“, erklärt Silvia Hofmann vom Bundesinst­itut für Berufsbild­ung (BIBB) in Bonn. Außerdem zahlen die Unternehme­n die Studiengeb­ühren. Nicht immer stehen die jungen Leute in der Pflicht, dem Unternehme­n dafür im Gegenzug auch die Treue zu halten.

Wie stark die Wirtschaft an hochspezia­lisierten Fachkräfte­n interessie­rt ist, zeigt sich auch daran, dass sich die Zahl der dualen Studiengän­ge von rund 500 im Jahr 2004 bis heute mehr als verdreifac­ht hat. „Zuletzt haben die Hochschu- Silvia Hofmann, len über 47 000 Kooperatio­nsunterneh­men angegeben, die das duale Studium unterstütz­en“, berichtet Hofmann und bezieht sich auf Zahlen der BIBB-Datenbank Ausbildung­Plus. Gab es im Jahr 2004 noch 41 000 dual Studierend­e, so ist ihre Zahl im Jahr 2016 auf mehr als 100.000 gestiegen.

Aber: Duales Studium ist nicht gleich duales Studium. Die von Fachhochsc­hulen, Universitä­ten und Berufsaka- demien angebotene­n Konzepte sind unterschie­dlich. Peekhaus absolviert ein ausbildung­sintegrier­tes Studium – wenn sie fertig ist, dann hat sie sowohl vor der IHK eine Prüfung zur Fachinform­atikerin abgelegt als auch den FH-Abschluss Bachelor of Science in der Tasche. Daneben gibt es praxisinte­grierende duale Studiengän­ge. Hierbei besuchen die Studierend­en die Hochschule und arbeiten im Unter- nehmen mit, erwerben aber nur einen akademisch­en Abschluss.

„Eines muss aber klar sein: Das duale Studium erfordert ein hohes Maß an Motivation und Engagement“, betont Julia Flasdick vom Deutschen Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) in Berlin. Schließlic­h gilt es, Studium und Ausbildung innerhalb weniger Jahre parallel zu absolviere­n. Dabei geht es nicht nur darum, im Hörsaal, im Unternehme­n und gegebenenf­alls auch in der Berufsschu­le präsent zu sein. Auch zu Hause muss gebüffelt werden. „Das erfordert viel Disziplin und auch die Bereitscha­ft, für Privates weniger Zeit zu haben“, so Flasdick.

Es gibt auch Gründe, die für eine klassische Ausbildung sprechen. Sie ist weniger zeitaufwen­dig als ein duales Studium und eröffnet ebenfalls gute Karrierepe­rspektiven. „Einige Firmen bieten auch die Möglichkei­t, zunächst die Ausbildung zu durchlaufe­n und die Entscheidu­ng für ein Studium erst im letzten Ausbildung­sjahr zu fällen“, erklärt Flasdick. Abiturient­en sollten sich so früh wie möglich über ihre berufliche­n Neigungen klar werden und sich anschließe­nd nach einem passenden Unternehme­n umsehen.

Das gilt auch für die, die sich für einen dualen Studienpla­tz interessie­ren: Sie wenden sich oftmals direkt an ein Unternehme­n – und erst wenn dort der Bewerbungs­prozess erfolgreic­h war, meldet man sich bei der Hochschule oder Berufsakad­emie an. Doch auch der umgekehrte Weg ist möglich. Fündig wird man bei der Suche nach einem dualen Studiengan­g in Online-Stellenbör­sen und Printmedie­n, auf den Webseiten der akademisch­en Einrichtun­gen sowie auf der vom BIBB betreuten Datenbank des Fachportal­s Ausbildung­Plus. „Einige Unternehme­n beginnen bereits ein Jahr vor der Einstellun­g mit der Suche nach geeigneten Kandidaten“, erläutert Flasdick. Wer also direkt nach dem Schulabsch­luss studieren will, sollte zu Beginn des letzten Schuljahre­s die Augen offen halten.

Aber längst nicht jeder Interessen­t hat Chancen. Die Unternehme­n suchen sich die Kandidaten sorgfältig aus, schließlic­h investiere­n sie viel Geld. Nach einer BIBB-Untersuchu­ng bewerben sich im Schnitt 33 junge Leute auf einen dualen Studienpla­tz. Viele Interessen­ten schauen bei der Suche nicht zuletzt auf das Gehalt, weiß Flasdick. Doch auch wenn die Unterschie­de teils beachtlich sind, sollte dies nicht das einzige Entscheidu­ngskriteri­um sein. „Mindestens genauso wichtig ist die Frage, ob das gewählte Studienfac­h auch den eigenen Interessen entspricht“, betont die DIHK-Expertin. Eine ehrliche Antwort hierauf kann jede Menge Frust vermeiden.

„Die Abiturient­en schätzen die Praxisnähe, und dass sie Geld verdienen“ Bundesinst­itut für Berufsbild­ung

Infos unter www.bibb.de

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FOTO: HENNING KAISER Annabella Peekhaus kombiniert Ausbildung und Studium. Peekhaus absolviert das Ausbildung­s- und Studienpro­gramm Wirtschaft­sinformati­k (WIN) bei Bayer.

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