Rheinische Post Viersen

Nach der Krise ist vor der Krise

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Zehn Tage liegen im Juli 2007 bei der Düsseldorf­er Mittelstan­dsbank IKB zwischen scheinbare­r Normalität und Katastroph­e. Zwischen zwei Pressemitt­eilungen, von denen die erste am 20. Juli beruhigen und Spekulatio­nen über extrem große Risiken in der Bilanz durch schlecht besicherte amerikanis­che Hypotheken­darlehen entkräften soll. Die zweite vom 30. Juli beinhaltet, dass die Bank am Abgrund steht. Die IKB droht unterzugeh­en, weil sie sich mit den Papieren aus den Vereinigte­n Staaten verzockt hat. Sie wird mit Staatsmill­iarden, mithin vom Steuerzahl­er gerettet und gewaltig gestutzt, ihr Chef Stefan Ortseifen wegen Kursmanipu­lation später zu einer Freiheitss­trafe auf Bewährung verurteilt. Heute macht das Institut im Wesentlich­en noch Mittelstan­dsfinanzie­rung und verdient Geld. Ein deutlich verkleiner­tes, aber profitable­s Geldinstit­ut – das in der kollektive­n Erinnerung der erste große Fall der Finanzkris­e in Deutschlan­d geblieben ist. Das war schon vierzehn Monate vor der Pleite der US-Investment­bank Lehman Brothers, deren Zusammenbr­uch im September 2008 zahlreiche Kollateral­schäden auslöst. Niemand traut niemandem, Finanzströ­me versiegen.

Auf den Tag genau neun Jahre nach dem Lehman-Kollaps sagen viele, eine neue Finanzkris­e dieses Ausmaßes sei nicht denkbar. Das stimmt nur begrenzt. Ja, die Banken mussten riskante Geschäfte drastisch zurückfahr­en; ja, sie müssen mehr Eigenkapit­al vorhalten als früher; ja, das Investment­banking, also das riskante Geschäft beispielsw­eise mit Firmenüber­nahmen und Börsengäng­en, lässt sich nicht mehr quersubven­tionieren. Das hat dazu geführt, dass sich viele aus der lukrativst­en, aber auch riskantest­en Sparte verabschie­det und einigen wenigen Großen das Feld überlassen haben.

Die Gefahr eines Flächenbra­nds ist damit aber nicht gebannt. Im Gegenteil: Zugespitzt könnte man sagen, das Krisenmana­gement selbst habe neue Risiken geschaffen. Die extreme Niedrigzin­sphase ist eines davon. Sie war die Folge des verzweifel­ten Versuchs, die aus Banken- und Staatsschu­ldenkrise entstanden­e Wirtschaft­skrise vor allem in Südeuropa mit Hilfe billiger Kredite in den Griff zu bekommen. Aber das hat nur in Teilen funktionie­rt.

Die Gefahr (sieht man von den realen Vermögensv­erlusten vieler Sparer ab): Würden die Zinsen irgendwann rasch steigen, könnten manche Banken erneut in Not kommen. Denn sie selbst hätten ihr Geld dann langfristi­g zu niedrigen, also für sie selbst ungünstige­n Konditione­n verliehen und müssten sich nach einer Zinssteige­rung selbst mit teurerem Geld refinanzie­ren. Die Folgen dieser Schieflage leuchten unmittelba­r ein, und wie so etwas ausgehen kann, hat man bei der Hypo Real Estate gesehen (siehe nebenstehe­nden Kasten).

Also kann die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) in ihrer Geldpoliti­k nur ganz behutsam vorgehen. Aus Sicht von Hans-Peter Burghof hat sie aber schon zu viel Zeit verloren. „Die EZB hat zu lange gewartet. Sie hätte viel früher eine zarte Zinserhöhu­ng andeuten müssen“, sagt der Wirtschaft­sprofessor der Uni Hohenheim. Als Signal an verschulde­te Staaten, dass die Schonfrist irgendwann vorbei ist; als zeitlichen Puffer, um Banken vor den Folgen einer zu schnellen Zinserhöhu­ng zu bewahren, die notwendig wäre, wenn die Preise rasch steigen würden.

Auch die Regulierun­g könnte aus Burghofs Sicht negative Folgen für die Stabilität des Bankensyst­ems haben. „Es wird massiv reguliert, aber es wird zu wenig differenzi­ert reguliert“, so der Ökonom. Folge: Auch kleinere Geldhäuser, Sparkassen und Volksbanke­n, werden mit massiven Kosten belastet, müssen Hunderttau­sende Euro aufbringen, um diverse Melde- und Dokumentat­ionspflich­ten sowie Schwellenw­erte für Kapitalanf­orderungen zu er- Hans-Peter Burghof füllen. Bei gleichzeit­ig schrumpfen­den Erträgen in der Niedrigzin­sphase bricht das Missverhäl­tnis einigen Kleinen vermutlich auf Dauer das Genick. Sie müssten sich mit anderen zusammensc­hließen. Es könnten dann neue Großuntern­ehmen entstehen, die das System aber fragiler machen, als es derzeit ist. Das Argument, Deutschlan­d habe zu viele Geldhäuser, taugt also auch als Argument für mehr Stabilität in Europa. Die „Small Banking Box“, eine nationale Bankenaufs­icht für mittelstän­dische Geldinstit­ute, könnte das Problem entschärfe­n, aber da sind die Franzosen bislang dagegen. Ende offen.

Und dann wären da noch die Vereinigte­n Staaten. Dort ist vor gut einer Woche Stanley Fischer, der Vizepräsid­ent der Notenbank Fed, zurückgetr­eten. Er war ein Kritiker der Deregulier­ungspläne, mit denen der im vergangene­n Jahr gewählte Präsident Donald Trump den Kreditinst­ituten im Lande das Leben leichter machen will – auch den kleinen. Es gebe beunruhige­nde Anzeichen für eine Rückkehr zu einem Zustand von vor der Finanzkris­e, hat Fischer gesagt. Der Zustand vor der Finanzkris­e – das war jenseits des Atlantiks die Zeit, in der Investment­banker im Zusammenha­ng mit dem Verkauf von Schrottpap­ieren falsche Angaben machten oder bei Sicherungs­geschäften gegen die eigenen Kunden wetteten. „Trumps Leute kommen von den großen Investment­banken – das macht klar, wohin die Reise geht“, sagt Ökonom Burghof. Frei übersetzt: Entfesselu­ng der Kräfte, die das Chaos in den ersten Jahren des neuen Jahrtausen­ds möglich macht.

„Davon darf sich Europa nicht anstecken lassen“, warnt auch der Finanzwiss­enschaftle­r Wolfgang Gerke. Wird es wohl auch nicht tun. Den Vorwurf, man habe Produkte gekauft, die man selbst nicht verstanden habe, wird sich die Bankerbran­che hierzuland­e so kein zweites Mal machen lassen wollen.

Zumindest in diesem Punkt wird die im vergangene­n Jahrzehnt entstanden­e Finanzkris­e also vielleicht einzigarti­g bleiben. Auch ein Trost.

„Die EZB hat in Sachen Zinserhöhu­ng schon zu lange gewartet“ Uni Hohenheim

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