Rheinische Post Viersen

SPD beschließt Abkehr vom Hartz-IV-System

Der Parteivors­tand hat das Konzept für ein Bürgergeld und andere Reformen angenommen. Was davon kommen wird, ist offen.

- VON JAN DREBES

BERLIN So gelöst ist SPD-Chefin Andrea Nahles lange nicht mehr vor Kameras getreten. Zuletzt hatte sie oftmals abwesend gewirkt, ängstlich, verkniffen. An diesem Sonntagnac­hmittag ist das anders. Gerade hat der Parteivors­tand, in dem viele ihrer Kritiker sitzen, das bereits heftig diskutiert­e Konzept für den Umbau des Sozialstaa­ts einstimmig angenommen. Jetzt steht Nahles mit einem breiten Grinsen im WillyBrand­t-Haus. „Wir können mit Fug und Recht sagen: Wir lassen Hartz IV hinter uns und ersetzen es nicht nur dem Namen nach“, sagt sie.

Vor 15 Jahren hatte der damalige Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) mit der Agenda-Politik weitreiche­nde Sozialrefo­rmen auf den Weg gebracht. Das Ergebnis: Eine wirtschaft­liche Stabilisie­rung, zugleich eine durch das Hartz-IV-System vorangetri­ebene Abstiegsan­gst vieler Arbeitnehm­er. Seitdem hatte die SPD damit zu kämpfen, bekam den Vertrauens­verlust vieler früherer Wähler massiv zu spüren. Der linke Parteiflüg­el forderte stets die Abkehr. Zwar räumt Nahles nun noch einmal ein, dass die „grundsätzl­iche Reform, die Zusammenle­gung von Arbeitslos­enhilfe und Sozialhilf­e ja richtig gewesen“sei. Sie spricht aber von einem Kulturwand­el. „Wir lassen Hartz IV hinter uns, wir diskutiere­n nicht die Vergangenh­eit, sondern wir machen einen Vorschlag für die Zukunft.“

So sieht der Vorstandsb­eschluss vor, an die Stelle von Hartz IV ein sogenannte­s Bürgergeld zu stellen. Wer als Beschäftig­ter lange in das System eingezahlt hat, soll künftig bis zu drei Jahre lang Arbeitslos­engeld I bekommen können. Bisher greift nach einem und maximal nach zwei Jahren die Sozialhilf­e. Zudem werden Vermögen früher angetastet. Auch das will die SPD ändern, ferner will sie „überflüssi­ge Sanktionen“streichen – wenn auch nicht gänzlich auf Strafen im System verzichten. Weitere Kernpunkte umfassen eine eigene Kindergrun­dsicherung, ein Recht auf das Arbeiten von zu Hause aus, ein Recht auf Weiterbild­ung bei Arbeitslos­igkeit und perspektiv­isch einen Mindestloh­n von zwölf Euro. „Das ist wirklich ein neuer Anfang“, sagt Nahles und wirbt für den Staat als Partner der Menschen, nicht als Kontrolleu­r.

Nahles, die wegen miserabler Umfragewer­te der SPD seit Monaten massiv unter Druck steht, kann mit dem Konzept punkten – auch wenn Arbeitsmin­ister Hubertus Heil, SPD-Vize Manuela Schwesig und Juso-Chef Kevin Kühnert das Papier maßgeblich verfasst hatten. So findet nun auch Kühnert lobende Worte: „Der heutige Tag ist ein wichtiger Befreiungs­schlag in der jüngeren Geschichte der SPD“, sagte er unserer Redaktion. „Mit unserem Konzept für einen neuen Sozialstaa­t endet eine lange Phase inhaltlich­er Unklarheit und Sprunghaft­igkeit.“Hinter das Beschlosse­ne falle man nun nicht mehr zurück, sagt Kühnert. Vorwürfen aus der Union begegnet er gelassen. „Wenn uns CDU-Vize Bouffier nun empört vorwirft, wir würden uns als Schutzmach­t der „kleinen Leute“positionie­ren, dann spricht das für seine gute Auffassung­sgabe.

Während CDU und CSU beim Soli für die oberen zehn Prozent in die Schlacht ziehen, arbeitet die SPD an sozialer Sicherheit“, sagte Kühnert. In diesen Tagen werde erkennbar wie lange nicht mehr, wofür es die SPD brauche. „Für uns ist das der Auftakt, verlorenes Vertrauen zurückzuge­winnen.“Zuvor hatte Volker Bouffier der SPD vorgeworfe­n, die „Beerdigung der sozialen Marktwirts­chaft“zu planen.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) warnte vor einem „ideologisc­hen Linksruck der Regierung“.

Und so wurde sogleich deutlich, dass eine Umsetzung der Beschlüsse mit diesem Regierungs­bündnis wohl nicht kommen wird. Auch Nahles sagt, dass der Beschluss „erstmal eine Positionie­rung der SPD“sei. Anders als das Konzept der von Hubertus Heil vorgeschla­genen Grundrente, die im Koalitions­vertrag fest vereinbart sei.

Aber eine Abkehr von Hartz IV? Das dürfte die Union nun keinesfall­s mittragen. Für Nahles muss das trotzdem nicht zum Problem werden. Im Gegenteil. Aktuelle Umfragen sehen die SPD eher im Aufwind, sie verbessert­e sich von 15 auf 17 Prozent. Zum Erhebnungs­zeitpunkt gab es die Debatte um das Bürgergeld auch noch kaum, der Vorschlag zur Grundrente zahlte aber wohl ein. An diesem Montag will die SPD nun noch ein Papier zur Europawahl beschließe­n. Zudem wird ein weiterer Aufschlag unter dem Titel „Organisati­onsrahmen“diskutiert. Die Inhalte jedoch blieben vorerst geheim.

 ?? FOTO: DPA ?? SPD-Chefin Andrea Nahles bespricht sich mit Generalsek­retär Lars Klingbeil. Im Hintergrun­d: die Ministerpr­äsidentinn­en Manuela Schwesig (l., Mecklenbur­g-Vorpommern) und Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz).
FOTO: DPA SPD-Chefin Andrea Nahles bespricht sich mit Generalsek­retär Lars Klingbeil. Im Hintergrun­d: die Ministerpr­äsidentinn­en Manuela Schwesig (l., Mecklenbur­g-Vorpommern) und Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz).

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