30.000 wollen in Köln Erdogan feiern
Polizei erwägt ein Verbot der angekündigten Pro-Erdogan-Demonstration als „letztes Mittel“. In NRW wächst die Bedrohung der Gülen-Bewegung, deren Mitglieder als Verräter beschimpft werden.
KÖLN Zu der für morgen in Köln angekündigten Demonstration von Anhängern des türkischen Staatspräsidenten Erdogan werden nach Angaben der türkischen Generalkonsulin Sule¸ Gürel auch Politiker aus Ankara anreisen. Der Delegation werden führende Persönlichkeiten der regierenden AKP-Partei, ein amtierender und ein ehemaliger Minister neben zwei Parlamentsabgeordneten angehören. Die Polizei, die 2300 Beamte und acht Wasserwerfer im Einsatz haben wird, geht mittlerweile von 30.000 Teilnehmern aus. Polizeipräsident Jürgen Mathies sagte, wenn die Sicherheit der Politiker nicht gewährleistet werden könne, müsse „als letztes Mittel“die Veranstaltung untersagt werden.
Unterdessen scheint in NRW der Streit zwischen Anhängern und Gegnern Erdogans zu eskalieren, nachdem dieser seinen Erzfeind Fetullah Gülen für den Putsch verantwortlich gemacht hat. „Es herrscht extremer Druck“, sagte Gülen-Sympathisant und Journalist Hüseyin Topel unserer Redaktion. Aktivisten von Erdogans Partei AKP warnten vor Unterstützung der Gülen-Bewegung. Ein anderer Gülen-Anhänger sagte: „Wir gelten als Verräter und Terroristen.“Offenbar kommt es vermehrt zu gewaltsamen Übergriffen. Das Innenministerium bestätigte, dass die Scheiben eines Cafés in Gelsenkirchen, das als GülenTreffpunkt gilt, eingeschlagen wurden. Zudem habe es Steinwürfe gegen eine Gülen-Einrichtung in Duisburg gegeben.
Berichtet wird zudem von Übergriffen auf Gülen-Anhänger in Neuss, Remscheid und in einem Supermarkt in Solingen. In Düsseldorf wurden Zettel an ein türkisches Geschäft geheftet mit der Aufforderung, dort nichts zu kaufen, da der Inhaber ein Anhänger Gülens sei. Der 31-jährige Inhaber hat Anzeige erstattet. Nach Angaben der Düsseldorfer Polizei sind in den vergangenen Tagen mehrere solcher Anzeigen eingegangen; auch der Staatsschutz sei eingeschaltet worden.
Die diskriminierenden Aktivitäten der Erdogan-Anhänger in Deutschland müssen nach Auffassung von Finanz-Staatssekretär Jens Spahn (CDU) Konsequenzen für die deutsche Politik haben. Türkische Erdogan-Anhänger sollten künftig nicht mehr so einfach die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen können, forderte Spahn. „Bis zur letzten Änderung bei der doppelten Staatsbürgerschaft musste man sich bis zum 23. Lebensjahr entscheiden, welchen Pass man behalten will und welchen nicht. Diese Regelung ist heute mit vielen Ausnahmen ver- wässert“, sagte Spahn unserer Zeitung. Seine Forderung: „Zurück zum alten Stand.“Die Ditib-Gemeinden in Deutschland würden zudem aus der Türkei von Erdogan gesteuert und betätigten sich mehr politisch als religiös. „Daher sollten wir sie nicht als Partner für Staatsverträge für den Religionsunterricht akzeptieren“, so Spahn.
Befremdet zeigte sich auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) über ein Schreiben des türkischen Generalkonsuls in Stuttgart. Darin wurde Kretschmann aufgefordert, türkische Gülen-Anhänger in Schulen und Vereinen zu überprüfen. „Hier sollen Leute auf irgendeinen Verdacht hin grundlos verfolgt oder diskriminiert werden“, sagte Kretschmann der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Gegen Erdogan wollen neben demokratischen Organisationen mehrere rechte Gruppen demonstrieren; zudem wird mit Autonomen und Hogesa-Gewalttätern gerechnet. Beobachter befürchten, dass es zu Krawallen kommen könnte.
Mit sorgenvollem Blick auf die morgige Großdemonstration warnen deutsche Politiker aller Couleur davor, die innertürkischen Auseinandersetzungen zwischen Erdogan-Anhängern und seinen Gegnern bei uns auszutragen. Auch Hannelore Kraft gehört dazu. Doch wie es scheint, hinken sie mit ihren mahnenden Worten der rauen Wirklichkeit hinterher.
Denn die Rachewelle, die seit dem misslungenen Putschversuch über die Gülen-Bewegung in der Türkei hinwegrollt, ist längst zu uns herübergeschwappt. Nun, da einige Wissende ihr Schweigen brechen und andere richtigerweise die Polizei einschalten, zeichnet sich immer deutlicher ab, wie sehr die Mitglieder und Sympathisanten Gülens auch hierzulande unter Druck gesetzt werden. Appelle zum Kaufboykott an türkischen Geschäften, die tatsächlichen oder vermeintlichen Gülen-Anhängern gehören, wecken böse Erinnerungen an die blutgetränkte Nazi-Parole: „Kauft nicht bei Juden.“
So etwas dürfen wir nicht durchgehen lassen. Der Staat muss jeden Einzelnen schützen, auch wenn er der Gülen-Bewegung angehört und sein Idol, der erzkonservative Prediger Fethullah Gülen, keineswegs eine Demokratie nach westlichem Vorbild anstrebt. BERICHT 30.000 WOLLEN FÜR . . ., TITELSEITE