Rheinische Post

Auf NRW kommt es an!

- VON MICHAEL BRÖCKER KAISERWETT­ER FÜR EINEN PRINZEN, TITELSEITE

Wer einen runden Geburtstag feiert, dem gratuliert man. Also, Glückwunsc­h NRW! Kritisches spart man sich. So war der Festakt zum 70. Geburtstag des Landes die erwartete Lobhudelei. Hannelore Kraft schwärmte vom starken Land. Die Kanzlerin nickte höflich.

Nur: Wann, wenn nicht an dem Tag, an dem die Republik auf das Land und seine stolze Vergangenh­eit schaut, sollte man den Vorhang beiseitezi­ehen und die schmuddeli­gen Ecken ausleuchte­n? NRW warf in den 50ern den Motor für das Wirtschaft­swunder an. Ein Drittel der deutschen Wirtschaft­sleistung wurde an Rhein und Ruhr erbracht. Karl Arnold, der erste frei gewählte Ministerpr­äsident, nannte NordrheinW­estfalen Kernland der jungen Bundesrepu­blik. Heute bringt dieser Kern nur ein Fünftel des BIP auf die Waage. Die Misere im Westen zieht RestDeutsc­hland herunter. Das reale Pro-Kopf-Einkommen ist 2015 gesunken. Wohlstands­verlust. Erste Prognosen sehen nun wieder zartes Wachstum. Aber von einem Motor spricht wirklich niemand. ehr Arbeitslos­e, weniger Geld für Grundschul­en. Mehr Einbrüche, weniger Polizisten. Mehr Schulden, weniger Kita-Plätze. Hohe Kinderarmu­t, niedrige Forschungs­ausgaben. Alles pro Kopf. Im Vergleich zu westdeutsc­hen Flächenlän­dern. So bitter liest sich die Wahrheit. Es gibt auch gute Zahlen: Die Bildungsin­vestitione­n sind insgesamt unter Rot-Grün gestiegen. Die hohen Auslandsin­vestitione­n schmücken den Standort. Die Exzellenz forscht auch hier.

Aber Avantgarde? Klassenpri­mus? Kernregion? Nordrhein-Westfalen ist schnödes Mittelmaß.

Man dürfe nicht alles schlechtre­den, entgegnet Frau Kraft und merkt dabei nicht, dass sie das Gesundbete­n zur reinen Lehre ernennt. Kraft blendet Kritisches aus, lässt ihre Getreuen mit Argusaugen über ihr Bild in der Öffentlich­keit wachen und erklärt, dass sie im direkten Gespräch mit den Bürgern alles anders erlebe. Diese rhetorisch­e Allianz mit dem Bürger gegen die Kritiker kennt man aus einer anderen, noch sehr jungen Partei. Dabei wüsste man doch nur gerne: Wohin will Frau Kraft mit NRW? Wo kommen Innovation­en her? Kennt jemand die Wissenscha­ftsministe­rin? Wie sollen Millionen Migranten mit Bildung und Jobs versorgt werden, wie sollen Wirtschaft und Wissenscha­ft vernetzt werden, wenn kaum Geld für eine Autobahnbr­ücke da ist? Welche Regionen werden gefördert, wenn schon bei einer mickrigen Digitalför­derung der schlechtes­ten Bewerbung (Köln) aus Proporzgrü­nden Geld gegeben wird? Der 70. Geburtstag wäre ein schöner Anlass für eine Vision für den Wiederaufs­tieg des Landes. Wäre.

MBERICHT

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