Rheinische Post

25 Jahre unabhängig­e Ukraine

Getrieben von russischen Aggressore­n taumelt Europas zweitgrößt­er Staat.

- VON ULRICH KRÖKEL

KIEW Für viele Menschen beginnt im Alter von 25 Jahren der berühmte Ernst des Lebens. Spätestens jetzt gilt’s: Beruf, Familie, Erwachsens­ein. Auf der Ebene der Staaten ist das Alter nur ein relativer, aber kein gänzlich unbrauchba­rer Maßstab. Beispiel Ukraine: Europas zweitgrößt­er Flächensta­at feiert heute 25. Geburtstag, doch erwachsen ist das Land noch nicht.

Am 24. August 1991 erklärte die damalige ukrainisch­e Sowjetrepu­blik ihre Unabhängig­keit, was kaum jemand in Europa bemerkte. Wenige Tage zuvor hatten in Moskau einige Ewiggestri­ge gegen Michail Gorbatscho­w geputscht. Das Resultat war ein dramatisch­er Machtverlu­st des Sowjetführ­ers. Die UdSSR taumelte ihrem Zerfall entgegen – ein Spaltprodu­kt war die Ukraine.

Um der jungen Nation gerecht zu werden, ist es wichtig, daran zu er- innern, dass eine Mehrheit von landesweit über 90 Prozent der Bürger im Dezember 1991 in einem Referendum für die Unabhängig­keit stimmte. Auch im stark russisch geprägten Osten war das Votum eindeutig und ebenso auf der Krim. Nicht weniger wichtig ist es, darauf hinzuweise­n, dass es spätestens seit dem 19. Jahrhunder­t eine ukrainisch­e Nationalbe­wegung gab.

Dennoch taten sich viele Politiker nicht nur im benachbart­en Russland, sondern auch im Westen schwer, die Ukraine als eigenständ­igen Staat für voll zu nehmen. Das Land war im besten Fall „Kleinrussl­and“, um es mit einem historisch­en Namen zu sagen. Unter dieser Fehlwahrne­hmung leidet die Ukraine bis heute, vor allem weil sich im mächtiger werdenden Russland unter Kremlchef Wladimir Putin eine Lesart durchgeset­zt hat, die den Nachbarn zum kleinen „slawischen Bruderstaa­t“erklärt. Für Putin hat die Ukraine gefälligst auf den großen Bruder zu hören. Aus russischer Sicht heißt das: Die Ukraine ist nur bedingt unabhängig und hat nicht das Recht der freien Bündniswah­l, und erst recht haben die Bürger nicht das Recht, sich gegen eine autoritäre, korrupte Führung zu wehren, wie in der Maidan-Revolution von 2014 geschehen, und das Land von einem prorussisc­hen auf einen prowestlic­hen Kurs zu steuern.

Für Putin waren sowohl die Revolution in Orange 2004 und erst recht der Aufstand vor zweieinhal­b Jahren aus dem Westen gesteuerte Putschvers­uche. Wer die Ukraine nach der Jahrtausen­dwende aus der Nähe beobachtet hat, weiß, dass diese Darstellun­g weit an der Wirklichke­it vorbeigeht. Richtig ist, dass der junge Staat seine Kinderkran­kheiten und Adoleszenz­krisen nie überwunden hat. Zeit, Konsequenz­en zu ziehen und möglichst schnell erwachsen zu werden.

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