Rheinische Post

Großbritan­nien verteilt mit kühler Effizienz Millionen

- VON SEBASTIAN BORGER

LONDON In Großbritan­nien sorgt Rio de Janeiro für Karneval. So viele olympische Medaillen wie seit hundert Jahren nicht mehr, Platz zwei im Medaillens­piegel – Athleten und Öffentlich­keit freuen sich über den „größten Erfolg der britischen Sportgesch­ichte”, wie die Leiterin der zuständige­n Behörde UK Sport, Liz Nicholl, sagt. Zur Begründung für den unverhofft­en Erfolg verweisen Fachleute auf gezielte, geradezu darwinisti­sch anmutende Förderung medaillent­rächtiger Athleten – und auf die Nachwirkun­g der olympische­n Gastgeberr­olle vor vier Jahren. Konservati­ve Medien wollen jetzt den Goldrausch auf die Politik übertragen: Premiermin­isterin Theresa May solle sich für die Brexit-Verhandlun­gen die patriotisc­he Begeisteru­ng zu eigen machen.

Angefeuert von der unkritisch­en Berichters­tattung der öffentlich- rechtliche­n BBC schwelgten die Briten sechzehn Tage lang in den Erfolgen ihrer Athleten. 48 Medaillen hatte der britische Olympiaver­band (BOA) vorab als Ziel ausgegeben, am Ende lag die Zahl bei 67, zwei mehr als beim letzten Mal und deutlich mehr als vergleichb­are Industrien­ationen wie Deutschlan­d, Frankreich und Japan holten. Vier Jahre nach den Spielen im heimatlich­en London zog „Team GB” damit an China vorbei und belegte hinter den USA Platz zwei der Nationenwe­rtung.

„Keine Kompromiss­e” – mit diesen beiden Worten begründen Sportfunkt­ionäre wie Nicholl den Erfolg der Athleten. Traditione­ll waren die Briten, jenseits der Mannschaft­ssportarte­n Cricket, Rugby und Fußball, eher als Heimstatt begeistert­er Amateure und exzentrisc­her Einzelgäng­er bekannt. Die Wende brachte vor zwanzig Jahren die ernüchtern­de Bilanz von Atlanta: Damals gewannen britische Ath- leten lediglich 15 Medaillen, darunter eine einzige goldene, und landeten auf dem kläglichen 36. Platz des Medaillens­piegels, gleich hinter Kasachstan.

Nicht genug, fand der damalige Premier John Major und sorgte für die gezielte Förderung zukünftige­r Olympiasie­ger. Aus Mitteln der Nationalen Lotterie, von Kritikern als „Deppensteu­er” bezeichnet, sind in den vergangene­n knapp zwei Jahrzehnte­n Hunderte von Millionen Pfund in die Kasse von UK Sport geflossen, der zentralen Agentur für Leistungss­port. Nachfolgen­de Regierunge­n hielten Majors Kurs. Seit einigen Jahren wird der jährliche Lotteriebe­trag um etwa ein Drittel vom Staat aufgestock­t. Über die vergangene­n vier Jahre kamen auf diese Weise umgerechne­t 402 Millionen Euro zusammen.

Die Verteilung der Gelder erfolgt mit kühler Effizienz. Goldgruben wie Radfahren, Rudern und Reiten werden mit Zuschüssen überschütt­et, aussichtsl­ose Teams wie Britannien­s Basketball­er und Volleyball­er bekommen keinen Penny. Ziemlich genau die Hälfte des Etats kam Ruderern, Radfahrern und der Leichtathl­etik zugute, gefolgt von Segeln, Schwimmen und Kanufahren sowie Reiten. Allein in diesen Sportarten holten die Briten gut die Hälfte ihrer Medaillen, darunter 18 goldene.

Dass beispielsw­eise Basketball sich gerade bei der ärmeren Bevölkerun­g und ethnischen Minderheit­en hoher Beliebthei­t erfreut und olympische Vorbilder Ansporn sein könnten, wen kümmert’s? Der Spitzenspo­rt ist fest in der Hand von überwiegen­d weißen Mittel- und Oberschich­tangehörig­en. Unter 58 Olympiasie­gern waren zwei Schwarze: Der Leichtathl­et Mo Farah (5000 und 10.000 Meter) und die Boxerin Nicola Adams.

Wenn bestimmte Sportarten die Erwartunge­n nicht erfüllen, wird der Geldhahn zugedreht. So geschah es neben Basketball im Januar 2014 auch den Orchideen-Diszipline­n Wasserpolo und Synchronsc­hwimmen. Schießen, Schwimmen und Judo wurden in die Kategorie „Risiko und Chance” gesteckt – angemessen­er wäre „allerletzt­e Chance” gewesen. „Wir mussten unsere Investitio­nen in bestimmten Bereichen vergrößern”, berichtet Simon Timson von UK Sport, weshalb andere Diszipline­n wegfielen.

Ist die Medaillenf­lut von Rio in Wirklichke­it aber nur ein Überbleibs­el des Erfolges in der Heimat? Manches spricht dafür. Australien beispielsw­eise belegte sowohl in Sydney 2000 wie vier Jahre später in Athen den vierten Platz im Medaillens­piegel, war in London aber auf Platz zehn abgerutsch­t – die gleiche Position wie jetzt in Rio. Über den langfristi­gen Erfolg der britischen Förderung lässt sich also frühestens in vier Jahren urteilen.

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FOTO: IMAGO Olympiasie­ger im Bahnradfah­ren: Laura Trott und Jason Kenny.

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