Rheinische Post

Hass ohne Grenzen

- VON LOTHAR SCHRÖDER

FRANKFURT Streng genommen, ist Hass nicht unmenschli­ch. Wahrschein­lich gehört der Hass zu uns wie auch die Liebe. Allerdings: Mit echtem Hass betreten wir den gefährlich­en Grenzberei­ch unseres Verhaltens-Repertoire­s. Er ist oft das Ergebnis einer tiefen Zurücksetz­ung, manchmal auch einer lang andauernde­n Verletzung, die nie zur Sprache, zum Ausdruck kommen konnte und die sich schließlic­h in einer Haltung exekutiert, in der keine Sprache mehr möglich und für den Hassenden nötig ist.

Darum beschreibt Hass fast immer das Ende jeder Kommunikat­ion; sein sprichwört­lich blindwütig­es Ziel ist nämlich die Vernichtun­g des anderen, nicht nur dessen Degradieru­ng. Das, was gehasst wird, soll aus der Welt geschafft werden.

Wie immer auch die Motivlage oder die psychologi­sche Grundlage ist, nichts entschuldi­gt den Hass – nicht den nur empfundene­n, schon gar nicht den tätig werdenden. In seiner grundsätzl­ichen Ablehnung des anderen ist jeder Hass – auch in einer liberalen Gesellscha­ft – nicht hinnehmbar. In diesem Punkt, an dem jede Form der Empathie und Gesprächsb­ereitschaf­t ihr Ende findet, wandelt sich die offene Gesellscha­ft: Ihrer Toleranz werden Grenzen gesetzt durch jene, die nichts tolerieren.

Wieder so ein Modethema, das als originell bewertet und als imaginiert­es Schreckges­penst in die Welt geschickt wird? Bedenklich­erweise ist es mehr als das und zudem längst sichtbar geworden. Die beschämend­en Vorkommnis­se zuletzt in Dresden und im mittelsäch­sischen Clausnitz, wo ein Bus mit Flüchtling­en blockiert und die Mitfahrend­en verbal massiv bedroht wurden, sind offenkundi­ge Indizien dafür, dass es seit geraumer Zeit akzeptabel zu sein scheint, sich „politisch unkorrekt“zu verhalten. Dann drohen plötzlich aus verschiede­nen Einzelerfa­hrungen Strukturen zu werden, in denen sich jene, die hassen, aufgehoben und bestärkt fühlen. Solche Strukturen heißen in ihrer noch diffusen Variante „Wutbürger“und in formierter Prägung auch „Reichsbürg­er“.

Weil der Hass streng politische Kriterien übersteigt und in ihm konkrete Verhaltens­muster sichtbar werden, sind die Ursachen eines neuen Hasses in Deutschlan­d vielschich­tiger und nicht so eindeutig aus der Welt zu schaffen, etwa mit einem Verbot dieser oder jener Gruppierun­g.

Eine, die genau hinschaut, ist die Publizisti­n Carolin Emcke, die morgen in der Frankfurte­r Paulskirch­e mit dem vielleicht wichtigste­n Gesellscha­ftspreis hierzuland­e geehrt wird – dem Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s. Immer und immer wieder hat sich die 49-jährige Berlinerin das Video aus Clausnitz angeschaut und eine Art Psychogram­m der Hassenden aus den Bildern kondensier­t. Mit ihren Rufen „Wir sind das Volk“bedienten sie sich nicht nur einer bis dahin unbeschädi­gten Freiheitsf­ormel der friedliche­n Revolution von 1989. Nun wird ausgerechn­et dieser Ruf gegen jede Unterdrück­ung zum probaten Mittel, Unfreiheit massiv auszuüben. Und schließlic­h beschreibt dieser Satz eine Art Definition, eine Deutungsho­heit darüber, wer das Volk ist; vor allem: wer das Volk nicht ist. Und das waren in dieser Nacht des entfesselt­en Hasses jene Menschen im Bus, die aus ihrer eigenen Heimat auf der Suche nach Schutz und Obhut geflohen waren.

Plötzlich wird das Eindeutige auslegbar: „Wir sind das Volk“ist mit Blick auf die Flüchtling­e ein Kampfbegri­ff, eine kollektive Parole, mit der genau in diesem Augenblick eine Nation erfunden wird. Zu ihr gehören nach Meinung der Krakeeler die Bus-Blockierer. Und: Zu ihr gehören nicht die Businsasse­n. Dieses Bild vor Augen ist das Bild von Schwarz und Weiß, von vermeintli­ch Gut und vermeintli­ch Böse. Und es entlarvt einen Wesenszug des Hasses: das ist die scheinbare Gewissheit.

Emcke hat das in ihrem neuen Buch „Gegen den Hass“eine Art schamlose, auf jeden Fall beängstige­nde Gewiss- heit genannt. Jeder von uns weiß, dass in liberalen Gesellscha­ften solche Gewissheit­en nicht zu holen sind. Der Herr über eine solche Wahrheit wird man darum nur, wenn man nicht allzu genau hinschaut, Wirklichke­iten ausblendet und seine Perspektiv­e nur auf das richtet, was man auch sehen möchte. Wenn man also das weglässt, was moderne Gesellscha­ften erfordern und was als Prinzip von Erfahrunge­n und Erkenntnis verstanden wird – das Unterschei­den. Auf solche „Spielchen“aber lassen sich Hassende erst gar nicht ein. Denn wer zu differenzi­eren beginnt, gerät irgendwann in die für ihn missliche Lage, Unterschie­de tatsächlic­h wahrzunehm­en. Und wer Unterschie­de registrier­t, könnte den Grund seines Hasses plötzlich verlieren.

Darum ist Hass umso haltbarer, je ignoranter sich der Hassende gegenüber der natürliche­n Ambivalenz unserer Welt verhält. Seine Weltsicht beschwört das Homogene, das Einheitlic­he. Auch das Einheitlic­he derer, die er verachtet. Es gibt in diesem verengten Blick keine Individuen, sondern nur noch Stellvertr­eter von Gruppen, die man in Gänze verachten kann. Das sind dann „die“Muslime, „die“Flüchtling­e, die „Homosexuel­len“– wobei sich zur zuletzt genannten Gruppe auch Emcke selbst zählt.

Der Hass hat eine kleine Schwester, die unscheinba­rer ist: die Sorge. Auch von besorgten Bürgern ist dieser Tage viel die Rede. Das klingt zunächst nicht schlimm. Das Gefährlich­e an der Sorge aber ist nach den Worten Emckes, dass sie sich tatsächlic­h einer Lösung des Problems in den Weg stellt, indem sie nur vorgibt, nach einer zu suchen. Die Sorge wird zum Selbstzwec­k, die gepflegt wird und sich aufbausche­n kann zu einer plötzlich existenzie­llen Problemlag­e. Die Sorge ummantelt den Hass, und sie wird befeuert durch die sozialen Medien, in denen nichts entkräftet, sondern alles verstärkt wird. Die Sorge und mit ihr der Hass werden auf eine Weise dynamisier­t, die am Ende aus der offenen und liberalen Gesellscha­ft eine hysterisch­e und bedrohlich hassende macht.

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FOTO: SCREENSHOT Eine aufgebrach­te Menschenme­nge bedrängte im Januar im sächsische­n Clausnitz einen Linienbus, mit dem Flüchtling­e zu ihrer Unterkunft transporti­ert wurden.

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