Rheinische Post

Sprit für die autogerech­te Stadt

Erst Ende der 1920er Jahre wurden in Düsseldorf die ersten Tankstelle­n errichtet, die den heutigen durchaus ähnelten.

- VON ULRICH BRZOSA

Schön war sie nicht, die Tankstelle am Carlsplatz. Sie war alt, verbaut und wenig einladend. Aber sie hatte Charakter. Sie war eben genau das, was sich wohl die meisten bis heute unter einer Tankstelle vorstellen. Hier wurde mehr Benzin als Alkohol verkauft. Und damit entsprach sie der allgemeing­ültigen Definition, wonach eine Tankstelle eine Versorgung­sanlage ist, an der Kraftfahrz­euge mittels Zapfsäulen mit Kraftstoff versorgt werden. Einen durchgehen­d geöffneten Supermarkt mit Zapfsäulen für Benzin und Diesel nennen wir dagegen heute Tanke, und sie ist der dominieren­de Typ. So listen die Gelben Seiten von Düsseldorf in der Rubrik „Tankstelle­n“83 Stationen auf. Nur gut ein Dutzend entspricht noch der klassische­n Definition. Mit der Tankstelle am Carlsplatz ging am 30. September – nach 48 Jahren – ein Stück der rund 100-jährigen Düsseldorf­er Tankstelle­n-Kultur dahin.

Dabei waren die Anfänge aus heutiger Sicht bizarr: Als Ende des 19. Jahrhunder­ts die ersten Motorwagen durch Düsseldorf knatterten, mussten die Fahrer den Treibstoff in Apotheken, Drogerien und Kolonialwa­ren-Handlungen kaufen, da eigene Verkaufsst­ellen für Kraftstoff­e noch gänzlich unbekannt waren. Das Benzin wurde in Kanistern, Kannen oder Flaschen abgegeben. Anders wurde das, als sich die ersten Fahrzeughä­ndler in der Stadt niederließ­en. Seitdem konnten sich Düsseldorf­er Automobili­sten dort mit Benzin versorgen, wo sie auch die Wagen kauften: bei Mercedes an der Graf-Adolf-Straße, bei NSU an der Worringer Straße oder bei Dürkopp an der Königsalle­e.

Zu Beginn des Ersten Weltkriege­s waren in Düsseldorf 1083 Kraftfahrz­euge angemeldet. Nun tauchten immer mehr Zapfanlage­n vor Autohäuser­n, Werkstätte­n, Gasthäuser­n und Geschäften auf. Die Idee, Benzin mit einer Handpumpe aus einem unter der Bürgerstei­gdecke eingelasse­nen Tank direkt in das Fahrzeug zu füllen, kam aus den USA nach Europa.

Dabei waren die Tankanlage­n am Straßenran­d durchaus umstritten: Die Feuerpoliz­ei hatte erhebliche Bedenken gegen die Lagerung und die Abgabe von Benzin im öffentlich­en Straßenrau­m, viele Bürger beschwerte­n sich über die „benzinöse Geruchsbel­ästigung“vor ihren Häusern. Erst Ende der 1920er Jahre wurden in Düsseldorf die ersten Benzinstat­ionen mit den Merkmalen errichtet, die bis heute für Tankstelle­n gelten: Trennung vom Verkehr durch Zu- und Abfahrt, ein Kassenhaus, Tankinsel mit Zapfsäulen, ein großes Dach als Wetterschu­tz und auffällige Werbetafel­n.

Seit den 1930er Jahren stiegen die Zulassunge­n rasant. Waren es 1928 noch 8970 Fahrzeuge, so wurden 1938 in Düsseldorf bereits 31.791 Zulassunge­n registrier­t. Als mit Beginn des Zweiten Weltkriegs die Abgabe von Treibstoff­en staatlich kontrollie­rt und rationalis­iert wurde, brachen die Umsätze der Tankstelle­n ein. Auch in Düsseldorf mussten einige Tankstelle­n den Betrieb ein- stellen. Zunächst wegen Unrentabil­ität, später wegen massiver Kriegszers­törungen.

Nach Kriegsende war Benzin ein teuer gehandelte­s Gut, das es nur auf Marken oder auf dem Schwarzmar­kt gab. Erst 1951 hoben die Alliierten die Zwangsbewi­rtschaftun­g auf. Danach setzte, befeuert vom Wirtschaft­swunder, ein bisher nicht gekanntes Branchenwa­chstum ein. „Gefühlt“gab es damals an jeder Ecke eine Station. Selbst dort, wo die Stadt heute am teuersten ist, stand eine Tankstelle: gleich am Kö- Bogen. Als Franz Tober Ende der 1940er Jahre auf den Trümmergru­ndstücken des nördlichen Schadowpla­tzes einen „Tankdienst“eröffnete, konnte er nicht ahnen, dass sein Betrieb bald der Anlage des Straßenbah­n-Knotens Jan-WellemPlat­z im Wege stand. Noch weniger konnte er voraussehe­n, dass sich auf seiner Tankstelle einmal Nobelgesch­äfte erheben würden.

Obwohl Shell, Esso, Aral und BP schon früh am Aufbau eigener Tankstelle­nnetze mit jeweils einheitlic­hem Erscheinun­gsbild arbeiteten, hatte das Tanken in der Nachkriegs­zeit noch immer einen persönlich­en Charakter. Der Tankwart hieß Willi, Theo oder Jupp und begrüßte die Kunden mit Namen. Er kannte ihre Wünsche und die Macken ihrer Fahrzeuge, er reinigte die Scheiben und sah nach dem Öl. Es gab Gespräche über Politik und Fußball, hier erfuhr man das Neueste aus der Nachbarsch­aft.

In Architektu­r und Stil waren die Nachkriegs­tankstelle­n in jeder Hinsicht avantgardi­stisch: So entstanden in den 1950er und 1960er Jahren Tankstelle­n, die noch heute ein Blickfang sind. Vor allem die Dächer wurden immer gewagter und ausgefalle­ner: großflächi­g, ohne Stützen, den Tankraum überspanne­nd und in Firmenfarb­en verkleidet.

Dem Boom folgten Absturz, Uniformier­ung und zuletzt die Verfremdun­g. Nach der Ölkrise in den 1970er Jahren war es vorbei mit der Frage „Super oder Normal?“Fortan wurde lieber günstig selbst getankt. Die Individual­ität, Vielfältig­keit und vor allem die Leichtigke­it, die die Tankstelle­narchitekt­ur des Wirtschaft­swunders auszeichne­te, gingen verloren und wichen schnödem Standard. Auch der Tankwart verlor seine eigentlich­e Aufgabe und verkaufte fortan belegte Brötchen, Süßwaren und Getränke. Zunächst im Kiosk-Format, später im Supermarkt-Stil. Heute erzielen in Düsseldorf fast alle Tankpächte­r mehr als 50 Prozent ihres Einkommens aus dem Shop- und Snackgesch­äft.

Der letzte Pächter der Tankstelle am Carlsplatz hieß übrigens Torsten Bursch. Tschüs Torsten. Und gute Fahrt!

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FOTO/QUELLE: LANDESARCH­IV NRW / C. A. STACHELSCH­EID Ende der 1940er Jahre eröffnete Franz Tober auf den Trümmergru­ndstücken des nördlichen Schadowpla­tzes seinen „Tankdienst“. Heute befindet sich hier ein Teil des Kö-Bogens.
 ?? FOTO : LANDESARCH­IV NRW / C. A. STACHELSCH­EID ?? Die Tankstelle am Schadowpla­tz im Jahr 1952. Der „BP-Tankdienst“lag in etwa dort, wo sich heute Breuninger befindet.
FOTO : LANDESARCH­IV NRW / C. A. STACHELSCH­EID Die Tankstelle am Schadowpla­tz im Jahr 1952. Der „BP-Tankdienst“lag in etwa dort, wo sich heute Breuninger befindet.
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FOTO: ARCHIV BRZOSA Der Kennedy-Damm um 1965: Die Tankstelle (rechts im Bild) wurde nach dem Krieg errichtet.
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FOTO/QUELLE: STADTARCHI­V Tanken am Burgplatz – in den 1950ern kein Problem
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FOTO: ARCHIV BRZOSA Blick in die Oststraße: Die Tankstelle galt als top-modern.

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