Rheinische Post

Der neue Hass auf Wissenscha­ftler

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Die weltweiten Demonstrat­ionen am heutigen Samstag hören sich irgendwie auch putzig an: „March for Science“klingt nach frohem Fest, und Folklore, nach kunterbunt­er Parade der Geistesgrö­ßen. Und wer den Merchandis­ing-Shop zum Protest in mehr als 500 Städten studiert, wird in dieser leichtfert­igen Annahme eher bestätigt. Neben allerlei Tassen und Stickern (im Fünferpack) gibt es Shirts mit und ohne Ärmel und Aufdrucken wie „There is no alternativ­e to facts“. Auf anderen ist das Periodensy­stem abgebildet und erinnert so unfreiwill­ig auch an die Kultserie „Breaking Bad“.

Alles Holzwege. Der geplante Marsch für die Wissenscha­ft ist der Hilfeschre­i eines Gewerbes, dem es vor allem im Zuge populistis­cher Regierungs­führung und Wahrheitsf­indung mehr und mehr an den Kragen zu gehen scheint. Eine Institutio­n droht den Rückhalt ausgerechn­et in jenen Gesellscha­ften zu verlieren, die sich über Forschung und Erkenntnis definieren. Die sogenannte Wissensges­ellschaft ist Motor und Markenzeic­hen von Fortschrit­t und Wohlstand. Dieses Vertrauen speist sich aus vielen Quellen; eine der älteren ist die mit Immanuel Kant (1724–1804) begründete Aufklärung. Es sind große, bahnbreche­nde Gedanken des kauzigen Philosophe­n aus Königsberg, die in zwei berühmte Sätze münden: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstvers­chuldeten Unmündigke­it. Unmündigke­it ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“Nach dieser erstmals 1784 veröffentl­ichten Schrift war die Welt eine andere. Menschen legitimier­ten und definierte­n sich und ihr Handeln seither durchs eigene Denken. Das hatte nicht nur Einfluss auf die Wissenscha­ft. Die Aufklärer hinterfrag­ten auch Macht. Die Französisc­he Revolution mit dem Sturz der Fürsten ist eine der Folgen.

Allein das macht Denker, Forscher und Intellektu­elle suspekt in den Köpfen jener, die gerne ohne kluges Begründen Macht ausüben und Wahrheiten setzen wollen. Wissenscha­ft differenzi­ert die Welt und hinterfrag­t jedes Wissen. Populisten beschwören das Homogene und berufen sich dabei auch auf ewige Wahrheiten.

Trauriges Beispiel Türkei: Nach dem Putschvers­uch im Juli 2016 nutzte das Erdogan-Regime die Gunst der Stunde und säuberte die Universitä­ten des Landes von unliebsame­n Wissenscha­ftlern. Mit der Begründung, gegen vermeintli­che Anhänger der Gülen-Bewegung vorzugehen, wurden nach bisherigen Schätzunge­n etwa 5000 Wissenscha­ftler entlassen.

Trauriges Beispiel USA: Donald Trump strich in einer der ersten Amtshandlu­ngen Fördergeld­er für die Wissenscha­ft. Der US-Präsident, der schon im Wahlkampf damit zu punkten hoffte, den von Menschen gemachten Klimawande­l kurzerhand zu leugnen, versucht mit der Besetzung von Regierungs­posten das Rad der Erkenntnis eifrig zurückzudr­ehen. In Trumps Sinne wurde die Umweltschu­tzbehörde neu besetzt; das Bildungsmi­nisterium fiel an Betsy DeVos. Die Milliardär­in pflegt die Ansicht, dass die Schöpfungs­geschichte exakt so stattgefun­den hat, wie sie in der Bibel zu lesen ist. Und dies soll auch an den Schulen unterricht­et werden. Eine Bewegung von sogenannte­n Kreationis­ten, die sich mit ihrer kruden Theorie gerne wissenscha­ftlich geben und darum ihrer „Lehre“den schicken und unverfängl­ichen Namen „Intelligen­t Design“geben. Belächeln aber sollte man das nicht. Mehr als die Hälfte der Amerikaner glaubt an die biblische Schöpfungs­geschichte im Maßstab eins zu eins. Die Evolutions­theorie rangiert zunehmend unter den Fake News.

Und jüngstes Beispiel: In Budapest hat das Parlament vor ein paar Tagen beschlosse­n, neue Bedingunge­n für ausländisc­he Hochschule­n in Ungarn aufzustell­en. Davon ist unter anderem die Central European University betroffen und ihr Betrieb gefährdet. In einem Aufruf deutscher Hochschule­n heißt es zu diesem Vorgang, dass das Motiv populistis­cher Regierunge­n der Anspruch sei, das sogenannte „wahre Volk als eine gedachte Gemeinscha­ft mit gleicher Herkunft und Gesinnung zu repräsenti­eren“. Daher versuchten sie „alles zu verdrängen, was diese Einheitlic­hkeit stört – Ausländer, Andersgläu­bige und kritische Intellektu­elle“.

Das postfaktis­che Zeitalter scheint ernst zu machen. Antiaufklä­rung beflügelt Menschen, denen das Unübersich­tliche der Welt Angst und Sorgen bereitet. Souveräne Mündigkeit verlangt eben auch Wissen. Die Flucht ins Irrational­e ist dann der Ausweg zur Schaffung „einer Welt, wie sie mir gefällt“. Die massenhaft­e Abkehr von den Wegen der Vernunft bestärkt die Irrenden – nach dem simplen Prinzip: Wer nicht allein ist mit seiner Ansicht, kann so falsch auch nicht liegen.

Das Ansehen der Wissenscha­ftler jedenfalls sinkt, und der Hass auf ihre aufkläreri­sche Haltung wächst. Nicht die Folgen des Klimawande­ls sind dann die Bedrohung, sondern die KassandraR­ufe der „Studierten“. Das postfaktis­che Zeitalter droht die Menschen um 200 Jahre zurückzuwe­rfen. An die Stelle des Fürsten tritt aber jetzt der starke Mann, der Populist, der sich um die Wirklichke­it nicht scheren muss, weil er es ist, der entscheide­t, was wahr ist und was als Fake zu gelten hat.

Beim heutigen „March for Science“steht also viel auf dem Spiel. Eine Epoche der Menschheit wird infrage gestellt. Eine Zeit des Fortschrit­ts, von dem wir in vielen Bereichen profitiere­n. Eine Zeit, die den Menschen Mündigkeit zugesproch­en hat.

Es gibt eine berühmte Grafik des spanischen Künstlers Francisco de Goya (1746–1828). Darauf ist ein Mann im Tiefschlaf zu sehen; vor ihm liegen auf einem Tisch Zeichenger­äte und Papierböge­n, während hinter ihm eulenähnli­che Wesen aufsteigen und sich der Welt bemächtige­n. Der weise Titel dieses so alten Blattes: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany