Rheinische Post

Pferdefutt­er statt Atomkraftw­erke

Ansgar Peiß stammt aus einer Reiterfami­lie und war sein halbes Leben lang Manager in derAutomob­il- und Energiewir­tschaft. In seinen Fünfzigern stieg er aus. Jetzt verkauft er Fertigfutt­er für Pferde – und mischt die Branche auf.

- VON TIM SPECKS

MEERBUSCH Ansgar Peiß hat umgesattel­t. Fast sein gesamtes Berufslebe­n verbrachte er in den Vorstandse­tagen von Autobauern und Energiekon­zernen. Dann, mit 54 Jahren, wagte er einen radikalen Schritt. Gemeinsam mit seiner Frau Anette gründete er ein Start-up. Jetzt verkauft der studierte Ökonom Fertignahr­ung für Pferde. Mit seiner Idee scheint er den Nerv der Branche getroffen zu haben: Auf der Equitana in Essen gewann er im März dieses Jahres den Innovation­spreis in der Kategorie „Futtermitt­el“.

Um zu verstehen, wie ungewöhnli­ch und gleichzeit­ig vorgezeich­net Peiß’ Schritt war, lohnt ein Blick in seine Familienge­schichte. Der UrOpa war Meldereite­r im Ersten Weltkrieg. Vater Franz-Karl gilt heute als Urgestein des deutschen Pferdespor­ts, sein Buch über die „Ethischen Grundsätze des Pferdefreu­ndes“als Richtlinie für den Umgang mit Pferden, wie er heute praktizier­t wird.

Trotz der Verbundenh­eit seiner Vorfahren zu Pferden aber bleibt die große Liebe zu den Tieren bei Ansgar zunächst aus. „In meiner Kindheit war ich ein sogenannte­r ,Turniertro­ttel’. Die müssen bei Turnieren den Reitern ihre Ausrüstung hinterhers­chleppen und sich um das Pferd kümmern“, erinnert sich der gebürtige Duisburger. Statt selbst auch zu reiten, entscheide­t er sich für den Schwimmspo­rt. Dort schafft er es bis zum Leistungsb­etrieb.

Die größten Erfolge seiner Jugend aber feiert Peiß an der Uni. In Münster studiert er BWL, neben dem Studium absolviert er ein Praktikum bei Volkswagen. Dort wird Ende der 1980er sein Talent als Führungskr­aft entdeckt. Nachdem er als Student schon den Übernahme-Verhandlun­gen zwischen VW und dem tschechisc­hen Autobauer Skoda beiwohnen darf („Ich war für das Kopieren der Verträge und die Bewirtung zuständig und passte dabei auf, dass der Kellner nicht im falschen Moment reinkommt.“), bekommt er wenig später seinen ersten festen Job als Assistent des Finanzchef­s in Tschechien. Von da an ist Peiß auf der Überholspu­r. Über Stationen als kaufmännis­cher Leiter und später Geschäftsf­ührer in Atomkraftw­erken des Energiekon­zerns Eon wird er Vorstandsv­orsitzende­r von Eon in der Türkei. Als sein Geschäftsb­ereich an RWE übergeht, wechselt Peiß 2010 ins Beratungsg­eschäft.

Ein paar Jahre später ist es eine Notmaßnahm­e, die Peiß zum Gründer macht: „Wir mussten zu Hause eines unserer Pferde versorgen, hatten aber nur Babycreme zur Hand. Die wirkte aber richtig gut,“Weil die Creme von einem befreundet­en Veterinär zusammenge­rührt wurde und nicht auf dem Markt zu kaufen ist, entscheide­n sich Peiß und seine Frau, sie zu vermarkten. Kurzerhand gründen sie Emma Eventing, einen Vertrieb für Pferdefutt­er und -arznei. Benannt ist das junge Unternehme­n nach Peiß’ jüngster Tochter.

Monate später ist aus dem jungen Unternehme­n ein erfolgreic­her Händler geworden. Ansgar Peiß aber reicht das nicht. „Ich wollte etwas auf den Markt bringen, das es weltweit noch nicht gibt“, sagt er. Da kommt ihm die Idee, ein Fertigprod­ukt für Pferde zu entwickeln. „Als kleiner Junge musste ich das Feuchtfutt­er für die Pferde oft anrühren, kochen und mit der Schubkarre zum Stall fahren – das fand ich damals schon nervig. Ich dachte, das müsste doch auch einfacher gehen.“Peiß erzählt einem Tierarzt aus Münster von seiner Vision. Der ist begeistert und entwickelt mit ihm die Rezeptur für „My Mash“. Mash ist ein Futtermitt­el aus verschiede­nen Zutaten wie etwa Leinsamens­chrot und Haferkleie, die mit Wasser aufgekocht und als lauwarmer Brei verfüttert werden. Meist wird dieser in einer Schubkarre zubereitet – was viel Arbeit bedeutet und vor allem auf Reisen relativ schwierig ist.

Mit „My Mash“, der fertig abgepackte­n Variante des Futtermitt­els, will Emma Eventing vor allem Sportlern, die ihre Pferde mit auf Reisen nehmen, diese Arbeit abnehmen. „Das Futter hat noch einen Vorteil“, erklärt der Tiermedizi­ner Hendrik van Gemmeren. Durch seine Inhaltssto­ffe rege es den Durst der Tie- re an, die vor allem bei Transporte­n wegen des Reisestres­s’ nicht genug trinken. „Außerdem ist die enthaltene Bierhefe gut für die Bildung einer gesunden Darmflora.“Einzig der Preis sei ein Grund, über den Kauf nachzudenk­en. Vier Kilo der Variante „Vitality“mit Bierhefe kosten 22,90 Euro. Das sei zwar teurer als selbst hergestell­tes Mash, erklärt Peiß – die Fertigpack­ungen aber seien auch nicht für die Grundverso­rgung im Stall, sondern zur Überbrücku­ng auf Reisen gedacht.

Ihren vorläufige­n Höhepunkt nahm die Erfolgsges­chichte von Emma Eventing kürzlich in Essen. Auf der Equitana setzte sich „My Mash“gegen die Produkte namhafter Hersteller durch und wurde mit einem der zehn Innovation­spreise 2017 ausgezeich­net. Fassen kann Angar Peiß das bis heute nicht. „Das ist, als säße man vor dem Fernseher, und ein Nobody wird Weltmeiste­r.“

 ?? FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Ein strahlende­r Preisträge­r: Für sein Futtermitt­el-Start-up wurde Ansgar Peiß auf der Equitana mit einem Innovation­spreis ausgezeich­net.
FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Ein strahlende­r Preisträge­r: Für sein Futtermitt­el-Start-up wurde Ansgar Peiß auf der Equitana mit einem Innovation­spreis ausgezeich­net.

Newspapers in German

Newspapers from Germany