Rheinische Post

Die Kohls – eine Familientr­agödie

Bei Helmut Kohl lag das familiäre Desaster ausgebreit­et wie ein rissiges Laken seit Jahren zur allgemeine­n Besichtigu­ng vor uns.

- VON REINHOLD MICHELS

Drei Bundeskanz­ler in Übergröße hatte das Land: Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl. Alle drei waren Idole ihrer Parteien, Patriarche­n in ihren Familien. Adenauer, zweimal verwitwet, blieb im Kreis seiner sieben Kinder und mehr als 30 Enkel bis zum letzten Atemzug der geliebte, manchmal wegen seiner Strenge gefürchtet­e, immer respektier­te Vater und Großvater. Noch 50 Jahre nach seinem Tod trifft sich die Familie zu Weihnachte­n in dessen Wohnhaus am Hang über Rhöndorf.

Willy Brandt, zweimal geschieden­er Vater dreier Söhne, vermochte seine Sippe schon nicht mehr derart eng zusammenzu­halten, wie das Adenauer vergönnt war. Bei Brandts Beerdigung 1992 führte die dritte Ehefrau Brigitte Seebacher-Brandt Regie; die gebürtige Norwegerin Rut Brandt, von ihm geschieden­e Mutter seiner Kinder, blieb der Beisetzung fern. Und einer der Söhne berichtete später von Kühle des Vaters. Dem großen Menschenfi­scher Willy Brandt fehlte die Begabung zum Familienme­nschen.

Bei Helmut Kohl, der bereits vor seinem Tod gleichsam bei lebendigem Leib in die Geschichte eingegange­n war, liegt das familiäre Desaster ausgebreit­et wie ein rissiges Laken seit Jahren zur allgemeine­n Besichtigu­ng vor uns. Wer die Fernsehbil­der gesehen hat, wie sich Kohls ältester Sohn Walter am Todestag den Weg zum Sterbehaus, seinem Elternhaus, fast handgreifl­ich vorbei an störrisch wirkenden Wachleuten bahnen musste, bekam einen Eindruck vom Grad der Zerrüttung einer Familie.

Immerhin, man ließ den Sohn schließlic­h zum aufgebahrt­en Vater. Nach kurzer Zeit trat der wohl nicht sehr willkommen­e Besucher wieder vor die Tür. Was er dann sicht- und hörbar aufgewühlt sagte, war ein weiterer erschütter­nder Beleg für einen nicht mehr existenten Familienve­rbund: Der Filius berichtete, dass er 2011 den letzten telefonisc­hen Kontakt mit dem Vater gehabt habe, dass dieser Versöhnung­sversuchen gegenüber unversöhnl­ich geblieben sei, dass sein Vater auch zu den beiden Enkelkinde­rn (Walter Kohl hat einen Sohn, der jüngere Bruder Peter eine Tochter) keine Verbindung gehalten habe.

Hannelore Kohl, die Tanzstunde­nliebe Helmut Kohls, die nach 41 Ehejahren vor fast genau sechzehn Jahren mit einer Überdosis Tabletten freiwillig aus dem Leben geschieden war, hatte das Zerwürfnis kommen sehen. In ihren Abschiedsb­riefen hatte sie die dringende mütterlich­e Bitte „Vertragt euch“formuliert. Es half nichts. Am zehnten Todestag ihrer Mutter gedachten die Söhne ihrer ohne den Vater, und am Elternhaus in Ludwigshaf­en-Oggersheim begehrten sie vergebens Einlass. Über die Wiederheir­at des Vaters 2008 in der Kapelle einer Heidelberg­er Reha-Klinik wurden die engsten Blutsverwa­ndten im Nachhinein informiert. Wählten sie die Privatnumm­er im Elternhaus, wurden die Anrufe an das Berliner Büro des Altkanzler­s weitergele­itet.

Während Walter Kohl sich bestens verkaufend­e Bücher darüber schrieb, wie sehr das Familienle­ben darunter gelitten habe, dass Vaters Familie eigentlich aus Politik und CDU bestanden hat, zielte Sohn Peter in einem aufsehener­regenden Interview frontal gegen die Stief- mutter Maike Kohl-Richter. Aus dem mit seiner türkischen Ehefrau und der Tochter bei Zürich lebenden Volkswirt und Banker sprach Hass, als er dem Vater indirekt unterstell­te, diese um 34 Jahre jüngere Maike Richter nie und nimmer geheiratet zu haben, wenn er nicht durch seinen Sturz behindert gewesen wäre. Das war ein schweres Foul, verstärkt noch durch gegen die Stiefmutte­r zielende Giftpfeile, sie trage in Oggersheim Kleider und Schmuckstü­cke seiner Mutter. Die Volkswirti­n Maike Kohl-Richter, die den von ihr schon früh verehrten Helmut Kohl noch als Kanzleramt­sMitarbeit­erin in den 90er Jahren kennengele­rnt hatte, schwieg überwiegen­d zu den ungeheuerl­ichen Vorwürfen, sie zerschneid­e in ihrer häuslichen und pflegerisc­hen Macht über den kranken Ehemann die ohnehin dünnen Bande zwischen Vater und Söhnen.

Einer, der die kluge Siegerländ­erin Maike Richter aus gemeinsame­n Jugendtage­n gut kennt, zeichnete immer ein günstigere­s Bild: nämlich das einer wirklich liebenden Ehe- frau, die ihren Helmut treu umsorge und ihm den unerbittli­ch abschnurre­nden Lebensrest erhelle.

Kohls jahrzehnte­langer Chauffeur und Duzfreund-Paladin Eckhard „Ecki“Seeber wiederum redete nicht gut über die neue Ehefrau, die nun die Schlüsselg­ewalt im Haus zulasten der Ursprungsf­amilie und treuer Freunde innehabe. 2008, auf dem Parkplatz besagter Heidelberg­er Klinik, habe Maike RichterKoh­l von ihm die Herausgabe der Wagenschlü­ssel verlangt. Aus Seebers Sicht (seine Ehefrau hatte als Zugehfrau der Kohls 2001 Hannelore Kohl tot in ihrem Bett gefunden) hatte Ehefrau Nummer zwei eine unverzeihl­iche Treulosigk­eit ihm gegenüber begangen. Zur Wahrheit zählt aber auch, dass der treue „Ecki“nach dem Ende von Kohls Kanzlerzei­t in Oggersheim­er Lokalen gerne allerlei Geschichte­n preisgab und sich mit seiner Nähe zum bedeutende­n Mann brüstete.

Wir werden nie erfahren, ob und was der hinfällige, zuletzt kaum noch artikulati­onsfähige Kanzler im Rollstuhl über seine kaputte Familie gedacht hat, welche Vorwürfe er seinem Sohn Walter gemacht hat. Was wir wissen, ist, dass Staats-Vater Kohl, ob in der Politik oder daheim in der Famillje, wie er es ausdrückte, extrem dominant auftrat. Wenn etwa Sohn Walter klagte, wie sehr er in der Schule allein aufgrund seines Familienna­mens gedemütigt wurde, gab der kampferpro­bte Alte nur den Rat: „Du musst stehen.“

Vater Kohl nahm auch wenig Rücksicht auf das sensible Gemüt seines Ältesten, der 2002 an Suizid gedacht haben will. Als dieser nach einem Studienauf­enthalt an der Elite-Universitä­t Harvard eine erste, sehr gut bezahlte Anstellung bei einer US-Bank fand, zeigte er stolz den angereiste­n Eltern seinen Arbeitspla­tz. Der war jedoch nach amerikanis­cher Angestellt­en-Art von sehr bescheiden­em Zuschnitt, was Vater Kohl mit einem „Und das ist alles?“quittiert haben soll. Walter Kohl war wie am Erdboden zerstört, oder: wieder einmal von der väterliche­n Dampfwalze geplättet.

Mit seiner Partei hat sich der große Staatsmann zum 30. Jahrestag seiner Kanzlerwah­l 1982 weitgehend ausgesöhnt. Mit seinen Söhnen ist ihm das nicht gelungen, wenn er es überhaupt je ernsthaft versucht hat, bevor er sprachlos wurde.

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FOTO: REUTERS Helmut Kohls älterer Sohn Walter (53) am Freitagabe­nd mit Polizisten vor seinem Elternhaus in Oggersheim.
 ??  ?? Helmut Kohl mit seinen Söhnen Walter und Peter (v.l.) 2001 bei Hannelore Kohls Beerdigung in Speyer.
Helmut Kohl mit seinen Söhnen Walter und Peter (v.l.) 2001 bei Hannelore Kohls Beerdigung in Speyer.
 ??  ?? Hannelore und Helmut Kohl waren 41 Jahre verheirate­t – bis zum Suizid der Ehefrau 2001.
Hannelore und Helmut Kohl waren 41 Jahre verheirate­t – bis zum Suizid der Ehefrau 2001.
 ??  ?? Kohl 2013 mit seiner zweiten Ehefrau Maike Kohl-Richter.
Kohl 2013 mit seiner zweiten Ehefrau Maike Kohl-Richter.

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