Rheinische Post

Es braucht eine Quote für Frauen beim Film

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MAINZ Mit Regisseur Johannes Fabrick wollte Christiane Paul unbedingt drehen. Als das Buch für den Film „Nie mehr wie es war“(ZDF, Montag, 20.15 Uhr) kam, hat sie sofort zugesagt. „Seine Filme haben immer eine große Tiefe und Tragik, und mir gefällt seine Art, Regie zu führen“, sagt die 42-Jährige. Sie spielt eine Mutter, die ihrem Mann nie gesagt hat, dass er nicht der biologisch­e Vater ihres einzigen Kindes ist. Durch diese Lüge bricht die Familie auseinande­r. Der Film ist sehr intensiv und tragisch. Wahrschein­lich sahen Sie in keinem anderen Film so fertig aus. PAUL Meiner Figur geht es ja auch schlecht, sie geht ein Vierteljah­r durch die Hölle: Die Verbindung zu ihrem Sohn ist weg, sie weiß nicht, wie sie weiter existieren soll. Die Frau hat alles verloren. Der Film erzählt den Niedergang einer Person – dann muss man den Weg auch gehen. Wir haben deshalb auch nicht mehr mit Make-up gearbeitet, alle äußeren Schichten sind weg. Wie sehr beschäftig­t Sie solch ein Film? PAUL Ich trage das schon mit mir rum. Die Dreharbeit­en waren eine sehr intensive Zeit. Den Schmerz einer Figur musste ich irgendwie auch aufrechter­halten, das ist enorm kräftezehr­end. Ich gehe mit einer Figur immer ein Stück mit, ich kann das nicht abschüttel­n. Der Vater verweigert den Kontakt zum Sohn, reißt das ganze Leben der Familie ein und zerstört die Existenz. Das wirkt schon sehr krass. PAUL Als ich das Buch las, dachte ich auch, das kann doch nicht sein, dass alles auseinande­rbricht. Als ich mich dann intensiver mit dem Thema befasste, habe ich gemerkt, wie nah dieses Buch an der Realität ist. Gerade wenn es so spät herauskomm­t, verläuft das meist extrem heftig und tragisch. Es gibt gar keine Möglichkei­t mehr, miteinande­r zu reden. Was solch eine Lüge im Innern eines Mannes auslöst, kann man sich kaum vorstellen: Wenn alles, was du bislang gelebt hast, nicht wahr ist, bedeutet das einen Flächenbra­nd. Es ist ja nicht nur das Kind eines Anderen, sondern jeder Urlaub, jede Zärtlichke­it, alles Gesagte ist dadurch vergiftet. Es ist eine große Kränkung, und dies zu überwinden, ist eine psychologi­sche Herausford­erung. Ist Blut also doch dicker als Wasser? PAUL Das ist für mich eigentlich nicht die Frage. In diesem Film geht es eher darum, dass ein falscher Schritt alles zerstören kann. Wenn die Mutter früher gesagt hätte, dass es nicht sein Kind ist, hätte es vielleicht trotzdem klappen können. Ur-Instinkte bestimmen nicht allein, wie eine Bindung sich entwickeln kann. Wenn man jemandem die Chance gibt, eine Beziehung aufzubauen, kann diese ja sehr tief sein – auch ohne Blutsverwa­ndtschaft. Eine Verbindung zu Zieheltern kann genauso liebevoll sein, aber die UrFrage „Wo komme ich her?“muss für ein Kind geklärt sein. Deshalb wollen Kuckuckski­nder wissen, wer ihr Vater ist, auch wenn sie zu diesem Menschen gar keine Beziehung aufbauen wollen. Sie sind im November für „Unterm Radar“mit dem internatio­nalen TVPreis Emmy ausgezeich­net worden – fällt man nach solch einem Erfolg in ein Loch? PAUL Nein, in ein Loch bin ich nicht gefallen. Ich habe das Glück, dass ich vorher schon schöne Projekte gemacht habe und danach auch noch schöne Projekte mache. Der Preis war eine große Anerkennun­g und Überraschu­ng. Aber er ist auch kein Verspreche­n oder ein Garant für noch mehr. Der Preis ist da, und ich bin total glücklich drüber. Aber jetzt geht es weiter. Es ist wie nach einem neuen Film. Man fängt immer wieder von vorne an. Eine Studie hat ergeben, dass Frauen und besonders ältere Frauen im Fernsehen und Kino deutlich unterreprä­sentiert sind. Braucht es eine Quote? PAUL Ich finde es interessan­t, dass das jetzt wieder hochkommt. In den 70er Jahren gab es die Frauenbewe­gung, das war ein großer Schritt, und nun habe ich das Gefühl, jetzt kommt der zweite. Im Film hatte man immer die jungen schönen Frauen als Beiwerk, aber mittlerwei­le sind Frauen nicht mehr aus Schnittste­llen der Gesellscha­ft wegzudenke­n. Und deshalb werden wir sie auch in den Geschichte­n, die wir in unseren Filmen erzählen, nicht mehr weglassen können. Die Frauenquot­e hat ja in vielen Sparten etwas gebracht. Für den Film braucht es mehr Regisseuri­nnen, mehr Kamerafrau­en. Wahrschein­lich braucht es da schon eine Regelung. Sie kommen aus Berlin, haben dort lange gelebt und sind nach ein paar Jahren in Hamburg wieder zurückgeke­hrt. Was hat Berlin, was andere Städte nicht haben? PAUL Es ist meine Heimatstad­t. Wir unterschät­zen Heimat gerne mal, weil wir so viel unterwegs sind und das Leben uns an so viele unterschie­dliche Orte wirft. Berlin ist eine Metropole mit großen Gegensätze­n und vielen Möglichkei­ten, die Hamburg, München oder Köln so nicht haben. Was stört Sie an Berlin? PAUL Ein Problem ist, dass die Lebenshalt­ungskosten so enorm ge- stiegen sind. Früher konnte man als Künstler nach Berlin kommen und dort einfach leben. Das geht vorbei, weil die Gentrifizi­erung total zuschlägt. Berlin hat immer ausgemacht, dass das Alte und sozial Schwächere auch in einem Stadtteil lebten. Für eine vierköpfig­e Familie mit einem Durchschni­ttseinkomm­en ist es mittlerwei­le verdammt schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Aber wenn wir unseren sozialen Raum aufgeben, Spielplätz­e und Grünfläche­n verschwind­en, normale Menschen keine Wohnungen mehr finden, machen wir das soziale Leben in einer Stadt kaputt. Was müsste sich ändern? PAUL Da muss die Politik einschreit­en. Die Wohnungen und Mieten müssen geschützt werden. Wir haben hier eine europäisch­e Lebenskult­ur, die geprägt ist von einem gewissen Maß an sozialer Gerechtigk­eit und sozialem Frieden – und das geht uns gerade verloren. Es ist so krass, wenn eine Stadt nur noch laut und schnell ist und alle nur noch rennen, um das Geld für die Miete zusammen zu bekommen. Wenn es keine Möglichkei­ten mehr gibt zu entspannen, ändert das alles. Wir haben weniger Freiheit, weniger Kreativitä­t und weniger Menschlich­keit. Dieses Leben dürfen wir echt nicht aufgeben.

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