Rheinische Post

Italiens exzessives Taktieren um eine Regierung

Die systemkrit­ische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechtspopu­listische Lega ringen um einen Kompromiss.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Ab morgen stehen die ersten Tests auf dem Weg zur Bildung einer Regierung in Italien an. Die Vorsitzend­en der beiden Parlaments­kammern müssen gewählt werden, Wahlsieger und -verlierer führen seit einer Woche Gespräche, um sich auf Kandidaten zu verständig­en. Bekanntlic­h hatte keine Partei nach den Wahlen am 4. März eine eigene Mehrheit erreicht. Es bedarf zumindest informelle­r Allianzen, damit Senat und Abgeordnet­enhaus Vorsitzend­e bekommen und die Legislatur­periode formal in die Gänge kommen kann. Die Frage ist, ob dabei die beiden Wahlsieger, die systemkrit­ische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechtspopu­listische Lega, eine Allianz eingehen.

Ob sich daraus auch Schlüsse für die Bildung einer Regierung ziehen lassen, ist eine andere Frage. „Der Parlaments­vorsitz hat nichts mit der Regierung zu tun“, sagte vergangene Woche Luigi Di Maio, Spitzen- kandidat der Fünf-Sterne-Bewegung, die 32,7 Prozent der Stimmen bei der Parlaments­wahl erzielte.

Damit sind die Fünf Sterne zwar Wahlsieger geworden, sie brauchen aber mindestens einen Partner, um eine Mehrheit im Parlament zu bekommen. Über die Bildung von Allianzen hat die vom Komiker Beppe Grillo gegründete Bewegung eigene Vorstellun­gen. Man sei nicht bereit, eine andere Regierungs­mannschaft als die vom „Volkswille­n“abgesegnet­e zu akzeptiere­n, sagte Di Maio, der schon vor den Wahlen ein Schattenka­binett aus Experten vorgestell­t hatte. „Wir sind offen für Gespräche über Themen, die die Italiener wirklich interessie­ren, aber bislang hat sich keiner gemeldet“, sagte der 31-Jährige und gab zu erkennen: Die Fünf-Sterne-Bewegung will bis auf Weiteres keine eigene Initiative für Sondierung­sgespräche unternehme­n, sondern wartet auf die Avancen anderer Parteien.

Insgesamt gleicht die erste Phase nach der Wahl einem exzessiven Taktieren, bei dem die Akteure jeden falschen Zug zu vermeiden suchen. Bei einem gestern von der Tageszeitu­ng La Repubblica kolportier­ten Koalitions-Angebot Silvio Berlusconi­s an die Fünf-Sterne-Bewegung dürfte es sich ebenfalls um ein taktisches Manöver handeln. Berlusconi hatte die Grillo-Bewegung im Wahlkampf noch als „gefährlich­e Sekte“bezeichnet. Offen zeigte sich diesbezügl­ich auch Lega-Chef Matteo Salvini. „Alles ist möglich“, sagte er auf die Frage nach möglichen Regierungs­bündnissen. Seine nationalis­tische Lega erreichte bei den Parlaments­wahlen 17,4 Prozent der Stimmen. Seit dem Wahlerfolg gilt Salvini als neuer Chef des konservati­ven Lagers.

Wenn das Taktieren noch länger dauert, sind Neuwahlen die letzte Option des Staatspräs­identen. FünfSterne-Bewegung und Lega scheinen die Aussicht nicht zu fürchten. In Umfragen nach der Wahl sind sie die einzigen beiden Parteien, deren Werte weiter steigen.

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