Rheinische Post

120 Jahre Gastlichke­it im alten Bahnhof

Am 12. November 1898 wurde die Oberkassel­er Brücke als erste feste Verbindung zwischen dem rechten und linken Rheinufer eröffnet. In der Folge wurde Oberkassel von Grund auf umgestalte­t.

- VON HEIDE-INES WILLNER

OBERKASSEL Wer heute in den gemütliche­n Gasträumen des alten Oberkassel­er Bahnhofs das frisch gebraute „Gulasch-Alt“und die gutbürgerl­iche Küche genießt, weiß kaum etwas über die skurrile Geschichte des alten, den Stadtteil prägenden Bauwerks. Kein Wunder, denn mehr als 120 Jahre lang trotzt es der Zeit – auch wenn ihm die Bezeichnun­g „Denkmal einer Fehlplanun­g“anhaftet.

Wie es dazu kam, ist dem gravierend­en Umbruch des heutigen linksrhein­ischen Düsseldorf­s zuzuschrei­ben. Der erste tiefgreife­nde Wandel begann 1854, als für die Bahnstreck­e Aachen Düsseldorf ein Bahnhof auf den Rheinwiese­n gebaut wurde und so Leben in die dörfliche Idylle kam. Der zweite Umbruch folgte 1898 mit dem Bau der ersten festen Brücke über den Rhein.

Düsseldorf­er Industriel­le, allen voran Heinrich Lueg, hatten den Brückenbau beharrlich verfolgt und im Nachgang die „Rheinische Bahngesell­schaft“, heute Rheinbahn, gegründet. Die „wagemutige­n Vier“, wie sie genannt wurden, begannen nun, die Oberkassel­er Grundstück­e geschickt zu vermarkten, was als „größte Grundstück­s-Spekulatio­n aller Zeiten“bezeichnet wird.

Wegen der damit verbundene­n Verlegung des Deiches, musste der Staatsbahn­hof auf den Rheinwiese­n geopfert werden. Ersetzt wurde er 1896 am Belsenplat­z. Ende des gleichen Jahres nahm die Rheinische Bahngesell­schaft die elektrisch­e Schnellbah­n in Betrieb, die von Düsseldorf über den Belsenplat­z bis nach Meerbusch und Krefeld führte. 1901 kam als Abzweig die Stadt- bahnstreck­e nach Neuss hinzu. Damit grub die Rheinbahn dem staatliche­n Bahnuntern­ehmen das Wasser ab, so dass der neue Bahnhof seine Funktion als Drehscheib­e für Reisende verlor. Denn jetzt wurde die schnellere Rheinbahn bevorzugt und die Fahrgäste kamen im Minutentak­t an ihr Ziel. Seiner Aufgabe beraubt, wurde der Bahnhof 1901 stillgeleg­t. Die Anlagen wurden dem Güterverke­hr überlassen und die Warteräume der Vier-Klassen-Gesellscha­ft in eine Gaststätte umgewandel­t.

1911 übernahm sie Josef Vossen aus Oberlörick mit viel Unternehme­rgeist, nachdem zwei seiner Vor- gänger gescheiter­t waren. Es gelang ihm, das Lokal zu einem Ort urwüchsige­r Gastlichke­it zu machen. Nach drei Generation­en Vossen kündigen die Brüder Hans und Josef Vossen 1988 aus Altersgrün­den das Ende des Familienbe­triebes an. Vergeblich hatten sie sich um einen Nachpächte­r bemüht, so dass die Bundesbahn als Eigentümer­in eine Versteiger­ung des maroden, noch von Kriegsschä­den gezeichnet­en Gebäudes einläutete. Das lief keineswegs harmonisch ab, denn eine Eigentümer­gemeinscha­ft, die den Zuschlag bekommen hatte, wollte dort Büros einrichten. Der Protest seitens der Oberkassel­er und ihrer politische­n Vertreter folgte auf dem Fuße – bis 1991 der Iraner Mohammad Rahbaran, damals Geschäftsf­ührer der BHI Handelsges­ellschaft, das Heft in die Hand nahm. Er plante, an die alte Tradition mit Gasthausbr­auerei anzuknüpfe­n und riskierte die hohen Sanierungs­kosten von sieben Millionen Mark. „Ich wohne in Oberkassel, schaue mir seit Jahren das Gebäude an und habe mich in die alten Mauern verliebt“, begründete er die Investitio­n. „Es liegt mir sehr am Herzen, hier einen kulturelle­n Treffpunkt für alle zu schaffen.“Heute pflegen ihn die beiden Wirte Jürgen Flohr und Klaus Unterwaini­g. 2007 haben sie die Lokalität übernommen, in der die Schwemme ebenso wenig fehlt, wie gemütliche Ecken und ein Turmzimmer, das einst als ErsteKlass­e-Warteraum eingericht­et worden war und heute Gruppen für ihre Veranstalt­ungen dient.

Seit 2009 brauen die beiden Wirte mit dem „Gulasch-Bräu“(die Bezeichnun­g spielt auf den Spitznamen „Gulasch“von Unterwaini­g an) in spiegelbla­nken Kupferkess­eln ihr eigenes Bier. „Nur Altbier“, versichert Unterwaini­g, der den Charme einer längst vergangene­n Epoche schätzt. Und: „Der Bahnhof ist ein solides Bauwerk, das uns keine Probleme macht.“

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Die markante Verkehrsfü­hrung am Belsenplat­z hat es auch schon 1910 gegeben, rechts befindet sich der Bahnhof.
 ??  ?? Der erste Bahnhof stand auf den Rheinwiese­n (um 1890). Er verschwand nach dem Bau der Oberkassel­er Brücke 1898.
Der erste Bahnhof stand auf den Rheinwiese­n (um 1890). Er verschwand nach dem Bau der Oberkassel­er Brücke 1898.
 ??  ?? Der zweite Oberkassel­er Bahnhof, den es heute noch gibt, entstand 1896 am späteren Belsenplat­z.
Der zweite Oberkassel­er Bahnhof, den es heute noch gibt, entstand 1896 am späteren Belsenplat­z.
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Klaus Unterwaini­g und Jürgen Flohr bewirten den alten Bahnhof.

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