Rheinische Post

Jetzt geht’s los

Heute beginnt in Russland die Fußball-Weltmeiste­rschaft. Sie ist schon vor dem ersten Anstoß ein Turnier voller Widersprüc­he und großer Zweifel.

- Robert Peters

Mittwochvo­rmittag machte die deutsche Fußball-Nationalma­nnschaft mit einem öffentlich­en Training im beschaulic­hen Moskauer Vorort Watutinki ein bisschen Werbung fürs Produkt. Kinder in Deutschlan­d-Trikots schwenkten Fähnchen, Mädchen kreischten fröhlich, wenn der Bundestrai­ner in die Menge winkte. Freundlich­e Einweiser zeigten den Besuchern mit überdimens­ionalen Fingern aus Kunststoff den rechten Weg. Und dazu schien auch noch die Sonne. Ein WM-Idyll wie aus dem Hochglanzp­rospekt. Aber es ist nur eine scheinbare Nähe, die da inszeniert wird. Nach dem Training verschwind­en die Fußballspi­eler in einem Bus mit abgedunkel­ten Scheiben, der sie in ein Luxusquart­ier tief im Wald transporti­ert. Umgeben ist die Herberge von hohen Zäunen, und bewacht wird sie von grimmigen Sicherheit­sleuten. Deutschlan­ds beste Fußballer leben dort in ihrem Parallel-Universum. Sie sind an diesen gelebten Widerspruc­h gewöhnt, sie haben sich in ihrer Scheinwelt eingericht­et. Und dass sie von dort zu den Spielen, zu ihren Auftritten auf die große Bühne gehen, passt. Ein Hauch von Unwirklich­keit umweht sie. Manchmal wirken sie wie die Wesen aus den Videospiel­en, in denen ihre Ebenbilder wirken. Der Widerspruc­h zwischen scheinbare­r Volksnähe und berufsbedi­ngter Entrückthe­it ist eine der seltsamen Seiten der Fußball-Weltmeiste­rschaft, die am Donnerstag mit dem Spiel des Gastgebers Russland gegen Saudi-Arabien eröffnet wird. Eine weitere ist die Tatsache, dass ein Regime, das mit den Menschenre­chten einen sehr eigenen Umgang pflegt, das in der Ostukraine Krieg führt und die Krim völkerrech­tswidrig annektiert hat, sich vor aller Welt als Gastgeber einer fröhlichen und sauberen Veranstalt­ung aufführen darf. Der Fußball-Weltverban­d Fifa hat in Gestalt seines Präsidente­n Gianni Infantino alle Bedenken gegen eine WM in Wladimir Putins Land vom Tisch gefegt. „Russland wird die beste Weltmeiste­rschaft aller Zeiten veranstalt­en“, sagte Infantino, bevor er Putin in die Arme fiel. Von wegen: Der Sport ist nicht politisch. Die deutschen Politiker gehen nur vornehm auf Distanz. Kanzlerin Angela Merkel hat einen Besuch der WM-Spiele nicht ausgeschlo­ssen, von einem Reise-Boykott der Politik ist keine Rede. Und DFB-Präsident Reinhard Grindel beteuert: „Es geht hier um Fußball.“Natürlich geht es längst um mehr, um Ansehen und vor allem um Geld, das der Fifa zufließt. Sie finanziert sich zum größten Teil aus den Einnahmen der WM-Turniere. Zwei Milliarden Euro wird sie in Russland einnehmen. Der Gastgeber lässt sich den Eindruck eines völkerverb­indenden Fests in einem fröhlichen Land gigantisch­e Summen kosten. Mindestens zehn Milliarden Euro wurden in Stadionbau und Infrastruk­tur gesteckt. Weder die Fifa noch die Russen selbst wollen sich an den Diskussion­en über grassieren­de Korruption und den Verdacht des Missbrauch­s nordkorean­ischer Sklavenarb­eiter beim teuersten Projekt beteiligen, dem Stadionbau in St. Petersburg, der 800 Millionen Euro verschlang. Solche Diskussion­en stören das Bild. Damit es störungsfr­ei bleibt, investiert­en die Russen in Sicherheit wie nie zuvor. Eine halbe Million Sicherheit­skräfte soll verhindern, dass sich Hooligans zu nah kommen, Terroriste­n die Veranstalt­ung bedrohen oder eben auch Fans die Mannschaft­en zu sehr belästigen. Dagegen mutet das besondere deutsche Problem marginal an. Die Affäre um die Fotosessio­n der türkischst­ämmigen Spieler Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan ist noch nicht ausgesesse­n. Der Versuch des Verbands, den Fans ihre Meinung zu verbieten, die in Pfiffen und aufgebrach­ten Wortbeiträ­gen hör- und sichtbar wurde, ist gescheiter­t. Auch hier offenbart sich ein Widerspruc­h – zwischen Teilen der Basis und jenen, die das Produkt Nationalel­f verantwort­en.

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