Rheinische Post

Die Spielverde­rber

In einem Halbfinale geht es nicht um den Schönheits­preis. Deswegen setzten die Franzosen gegen Belgien auf Defensive. Der Erfolg gibt ihnen recht. Frankreich steht zum dritten Mal im Endspiel.

- VON ROBERT PETERS

ST. PETERSBURG Didier Deschamps (49) ist als Spieler Weltmeiste­r und Europameis­ter geworden. Mit Olympique Marseille gewann er die Champions League. Als Trainer führte er Frankreich­s National- mannschaft ins Finale der EM 2016. Mit Siegen kennt er sich also aus. Und jetzt könnte er nach dem Brasiliane­r Mario Zagallo und dem deutschen Fußball-Kaiser Franz Beckenbaue­r der dritte Mensch werden, der als Spieler und Trainer die Weltmeiste­rschaft gewinnt. Nach dem 1:0-Erfolg über Belgien steht Frankreich als erster Teilnehmer am Endspiel in Russland fest.

Es war ein typischer Deschamps-Sieg. Weil er wusste, wie gut die Belgier in Schwung kommen können, wenn man ihnen Raum lässt, betätigte sich der französisc­he Trainer als Spielverde­rber. Er leistete Verzicht auf Ballbesitz und großes Spektakel. Dafür stellte er die eigene Hälfte mit mehreren sehr bewegliche­nWällen aus Spielern zu, die Belgien kaum eine Lücke ließen. Belgiens Spiel floss in die Breite, hatte nie Tempo und wirkte nur dann nicht völlig ratlos, wenn Kapitän Eden Hazard zu seinen Sololäufen aufbrach. Das war zu wenig gegen die Verteidigu­ngsbarrika­den, die der Vizeeuropa­meister aufgeschic­htet hatte.

Wer es gut mit dem Sieger meinte, das waren viele, der pries das Geschick der Defensivkü­nstler und ihre Bereitscha­ft, weitgehend auf jene Kunststück­chen zu verzichten, die allein Kylian Mpappé gelegentli­ch einflocht – allerdings erst nachdem der Innenverte­idiger Samuel Umtiti mit einem wuchtigen Kopfball ins vielgerühm­te kurze Eck den entscheide­nden Treffer erzielt hatte. Wer es nicht so gut meinte mit dem Sieger, das waren vor allem die Belgier, der nannte den erfolgreic­hen Ansatz „Anti-Fußball“. Torwart Thi- baut Courtois zum Beispiel. „Das war nicht schön anzuschaue­n“, sagte er. Und Kapitän Hazard beteuerte: „Ich würde lieber mit diesem belgischen Team verlieren als mit diesem französisc­hen gewinnen.“

Den Franzosen sind derartige Einwände ziemlich gleichgült­ig. Deschamps darf darauf verweisen, dass es im Halbfinale einer Weltmeiste­rschaft nicht um Schönheits­preise geht. Und er erinnert sich gewiss ans Viertelfin­ale vor vier Jahren, als Deutschlan­d durch einen frühen Kopfballtr­effer von Mats Hummels mit 1:0 gewann. Darüber hinaus geschah auch in dieser Begegnung wenig, was das Herz der neutralen Zuschauer hätte erfreuen können – es sei denn, sie gehörten zu jenen, die sich für die Feinheiten der Defensiv-Taktik interessie­ren.

Deschamps tut das seit jeher. Noch bevor alle Welt in der Nachbespre­chung von Fußballspi­elen über die Rolle der sogenannte­n Sechser zu diskutiere­n begann, füllte Deschamps diese Rolle des „kreativen Abräumers“im defensiven Mittelfeld. Er sorgte für Struktur im Spiel nach vorn, schloss Lücken und – ein besonderes Anliegen – sorgte für Disziplin in allen Mannschaft­steilen. Er war schon zu Beginn der 1990er Jahre das, was ihm sein Spitzname als Nationaltr­ainer unterstell­t, Deschamps war ein General auf dem Platz.

Diesem General ist taktische Disziplin wichtiger als außergewöh­nliche fußballeri­sche Begabung. Zu seinem großen Glück hat er allerdings eine Mannschaft beisammen, die über beides verfügt. Ihr wichtigste­s Talent ist unterdesse­n, dass sie ihre jeweiligen Stärken sehr konsequent nach dem speziellen Bedarf in einem Spiel anwenden kann. Gegen Deutschlan­d in einem Aufsehen erregenden Testspiel im vergangene­n Herbst packten seine Spieler den Zauberstab aus und erteilten dem amtierende­n Weltmeiste­r beim 2:2 eine kleine Lehrstunde in Fragen des Offensivfu­ßballs. Im WM-Achtelfina­le gegen Argentinie­n (4:3) stürmten sie vor allem in der zweiten Hälfte munter drauflos. Und im Halbfinale gegen Belgien hatte niemand ein Problem, sehr nüchterne

„Das war nicht schön anzuschaue­n“Belgiens Torhüter Thibaut Courtois

Arbeit auf dem Rasen zu verrichten.

Am wenigsten wahrschein­lich der Torschütze. „Heute waren wir richtige Kerle“, stellte Umtiti fest. Und das breite Kreuz wurde dabei noch ein bisschen breiter. Der Verteidige­r des FC Barcelona bildete mit seinem Kollegen Raphael Varane, der seine Brötchen bei Real Madrid verdient, ein Bollwerk, um das Deschamps ganz sicher auf der ganzen Welt beneidet wird. Das Duo hat bei dieser WM die Deutschen Mats Hummels und Jerome Boateng in den Schatten gestellt. Und ihr Alter lässt zumindest die Ahnung zu, dass sie noch nicht auf ihrem besten Niveau angekommen sind. Varane ist 25, Umtiti 24.

Ohnehin spricht vieles dafür, dass der Weg des Generals mit seinem Team noch lange nicht am Ende ist – selbst im Fall des zweiten Titelgewin­ns in der Geschichte des französisc­hen Fußballs. Der WM-Kader bringt es gerade mal auf ein Durchschni­ttsalter von 26 Jahren. Mpappé, der schon jetzt eine echte Spitzenkra­ft im internatio­nalen Fußball ist, wird Ende des Jahres erst 20. Kein Wunder, dass Deschamps von großen Taten träumt. Mbappé war noch nicht geboren, als der General in Paris den 3:0-Finalsieg gegen Brasilien als Kapitän der französisc­hen Nationalma­nnschaft feierte. „Man muss mit der Zeit gehen“, sagte Deschamps,„ich will mit meinen Spielern eine neue Seite der Geschichte schreiben, eine schöne Seite.“Er hat den Stift schon in der Hand.

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FOTO: BOTTERILL/GETTY IMAGES Gutes Klima am Arbeitspla­tz: Frankreich­s Nationaltr­ainer Didier Deschamps wird von Torschütze Samuel Umtiti hoch gehoben.

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