Rheinische Post

Auf der Suche nach Sicherheit

„Vermisst in Berlin“behandelt einen wenig beleuchtet­en Aspekt der Flüchtling­skrise.

-

DÜSSELDORF

(ry) Der früheren Ermittleri­n Judith Volkmann (Jördis Triebel) läuft nachts in Berlin ein zehnjährig­er Junge vor das Auto. Was macht das Kind um diese Zeit allein auf der Straße? Sie will nach ihm sehen, doch er haut ab.

Judith Volkmann forscht nach seiner Identität und versucht zunächst, das Kind mit polizeilic­hen Mitteln aufzuspüre­n. Dabei gerät sie schnell an ihre Grenzen. „Ihr“gesuchter Junge, Djamal (Lilien Batman), zählt zu den Tausenden, die von Kriegen und Armut nach Europa gespült wurden. Diese Kinder irren nun allein durch Deutschlan­d wie kleine Gespenster – kleine Gespenster, mit denen man Geschäfte machen kann, illegal, aber auch hochoffizi­ell. Judith konfrontie­rt ihren alten Chef Deniz Kovacevic (Edin Hasanovic) mit diesem Fall und ihren schlimmste­n Befürchtun­gen, dem illegalen Prostituti­onsring, in den Flüchtling­e verschache­rt werden.

Mehreren Kindern begegnet Judith auf ihrer Reise: Eines hat Glück, wird gesucht und gefunden, eines liegt tot in einem Keller. Judith geht die Arbeit der Behörden nicht schnell genug. Sind die Kinder in den Heimen der Stadt wirklich sicher? Sie mischt sich ein.

Der Film von Regisseuri­n Sherry Hormann beschäftig­t sich in erster Linie mit dem Schicksal von minderjähr­igen Flüchtling­en, die unbegleite­t nach Deutschlan­d gekommen sind, um hier nach Sicherheit zu suchen. „Doch mehr als 6000 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e, die in Deutschlan­d angekommen sind, wurden 2016 vermisst“, berichten Frauke Hunfeld und Silke Zertz, die das Drehbuch des Dramas verfasst haben. „Davon mehr als 800, die jün- ger sind als 14. Anfang 2018 waren es immer noch 5300. Als die Zahlen 2016 erstmals öffentlich wurden, war das für viele Menschen in Deutschlan­d ein Schock.“Das war auch Regisseuri­n Hormann nicht wirklich bewusst.„Ich wusste nichts davon, bevor ich das Drehbuch las, dann weiter recherchie­rte und die Fakten sich noch drastische­r lasen. Es sind immer wieder die Kinder, die vergessen werden, man ‚braucht‘ sie ja nicht. Kinder, auf der Flucht gestrandet und jetzt in einem fremden Lebensvaku­um.“Den meisten dieser Kinder geht es vermutlich gut, weil sie zu Verwandten weitergere­ist sind. Doch viele davon geraten auch an die falschen Leute, wie Hunfeld und Zertz weiter ausführen. „Gleichzeit­ig aber sehen wir Jugendlich­e im Berliner Tiergarten, die sich prostituie­ren. Jungs, die unter Brücken schlafen, in der U-Bahn betteln. Jugendlich­e, die in einschlägi­g bekannten Moscheen ein Netzwerk finden. Kinder, die im Görlitzer Park Drogen verkaufen. Wir erfahren von Menschenha­ndel in Flüchtling­sheimen, organisier­t durch kriminelle Clans. Wir haben mit Helfern, mit Flüchtling­en, mit Angehörige­n, mit Polizisten gesprochen. Über ihre Hoffnungen, ihre Ängste, ihre Träume, ihreWut.“Und so handelt der Film von der Ohnmacht auf allen Seiten und von denen, die daraus noch ein Geschäft machen.

In dem Drama überzeugen vor allem Jördis Triebel und Edin Hasanovic, deren Filmfigure­n Judith und Deniz eine respektvol­le, oft aber auch schwierige Beziehung zueinander haben. „Judith Volkmann ist unkonventi­onell und folgt ihrer Intuition“, wie Triebel sie im Interview beschreibt. „Diese Rolle hat eine wunderbar widersprüc­hliche Persönlich­keit, die oft eher männlichen Charaktere­n zugesproch­en wird. Sie ist anarchisch, leidenscha­ftlich, verbohrt, stur, humorvoll und unangepass­t. Und dabei so wunderschö­n weiblich. Diese Rolle zu spielen war ein Geschenk.“Für Hasanovic war seine Rolle eine seiner größten Herausford­erungen als Schauspiel­er. „Das Anstrengen­de war, ihn auszuhalte­n. Ich habe selten jemanden gespielt, der in seinem Handeln weiter entfernt von dem privaten Edin ist, als er. Sein rationales, kalkuliert­es Denken und das Zurückhalt­en seiner Gefühle und Impulse machten ihn wirklich zu einer harten Nuss, die geknackt werden musste.“

 ?? FOTO: ZDF/MATHIAS BOTHOR ?? Die suspendier­te Ermittleri­n Judith Volkmann (Jördis Triebel) und ihr früherer Chef Deniz Kovacevic (Edin Hasanovic) müssen gemeinsam den Fall der verschwund­enen Flüchtling­skinder lösen.
FOTO: ZDF/MATHIAS BOTHOR Die suspendier­te Ermittleri­n Judith Volkmann (Jördis Triebel) und ihr früherer Chef Deniz Kovacevic (Edin Hasanovic) müssen gemeinsam den Fall der verschwund­enen Flüchtling­skinder lösen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany