Rehkitz Leben retten mit der Drohne
Wenn die Wiesen gemäht werden, sind die Rehkitze in Gefahr. Im Ries nutzen die Jäger modernste Technik, um die Tiere zu retten.
Landkreis Rupprecht Walch schläft nur wenig in diesen Tagen. Um vier Uhr ist der junge Berufsjäger schon draußen. Auf den Feldern und Wiesen im Ries liegen Nebelschwaden, es dämmert, das Thermometer zeigt vier Grad. Auch für Ralf Stoll heißt es früh aufstehen und ab ins Revier. Er hat rund 1700 Hektar rund um Munningen, Heuberg und Pfäfflingen gepachtet. Zusammen mit anderen Mitgliedern des Kreisjagdverbandes Nördlingen haben die beiden eine Mission: Rehkitze vor dem Mähtod retten.
Im Mai treffen zwei Ereignisse aufeinander: Die Landwirte mähen ihre Wiesen, und bei den Rehen gibt es Nachwuchs. Eine Rehgeiß bringt immer zwei Kitze zur Welt, sie „setzt“. Die kleinen Tiere mit den großen Augen liegen dann im hohen Gras, nur wenige Schritte voneinander entfernt. Die Mutter kommt alle paar Stunden zum Säugen vorbei. Die Kitze haben keinen eigenen Körpergeruch. Wenn Fressfeinde in der Nähe sind, dann drücken sich die Kitze auf den Boden und werden übersehen. Dieses angeborene „Schutz-Programm“wird ihnen zum Verhängnis, wenn die Wiese mit großen Maschinen gemäht wird. Jedes Jahr sterben tausende Rehkitze in den Mähwerken.
„Wenn wir wissen, dass eine Wiese am nächsten Tag gemäht wird, dann laufen wir dieses Feld ab“, sagt Stoll. Wenn er dabei Kitze findet, siedelt er sie um. Das kann er als Pächter auf den vielen Wiesen gar nicht alleine leisten und freut sich über jeden Helfer. Der neueste Helfer bei der Kitz-Rettung heißt DJI Inspire 1. Diese Drohne wird von Walch geflogen. Zusätzlich zu seiner Arbeit als Berufsjäger bei der Fürstlichen Forstverwaltung Oettingen-Spielberg hilft er anderen Jagdpächtern bei der Kitzrettung.
An der Drohne ist eine hochauflösende Kamera befestigt. Entscheidend ist aber die zusätzliche Wärmebildkamera. Das Gerät wurde vom Verein für deutsche Wachtelhunde gesponsert, mit dem die Jäger im Ries schon viele Jahre gut zusammenarbeiten.
Walch, Stoll und die anderen Jäger sind auf einem Feldweg bei Munningen. Das Gerät mit den vier Rotoren hebt senkrecht ab, Walch steht am Stativ, an dem er die Bilder der Wärmebildkamera empfängt. In 20 bis 30 Metern Höhe lenkt er die Drohne dann mit zwei Joy-Sticks über die Wiese. Feldwege, kleine Gräben und Geländekanten zeichnen sich ab.
Plötzlich zeigt sich ein rotes Oval. „Das wird ein Hase sein“, sagt Walch, stoppt die Drohne und zoomt auf seinem zweiten Bildschirm näher an den Boden. Richtig, zwei lange Ohren sind zu erkennen. Die Kamera hat den Hasen an seiner Körpertemperatur erkannt. Nur in den frühen Morgenstunden unterscheidet sich der warme SäugetierKörper so deutlich vom nächtlich ausgekühlten Boden. Wenn die Sonne aufgeht, wird es relativ schnell zu warm, um aussagekräftige Bilder zu erhalten. Also heißt es, die Zeit sinnvoll zu nutzen: weiter geht es mit Technik und Helfern zu zwei Wiesen, die noch am selben Tag gemäht werden sollen. „Im Idealfall sagt mir der Landwirt Bescheid, wann er mäht“, sagt Ralf Stoll. Dann hat der Pächter die Chance, kurz vorher die Wiese zu inspizieren und Kitze zu retten.
Die Drohne fliegt wieder, aber die Wiese ist „leer“. Weiter in Richtung Oettingen hat Stoll kürzlich eine Geiß gesehen. „Die könnte jetzt gesetzt haben“, sagt er. Jetzt muss es schnell gehen, denn die Sonne steht schon voll am Himmel, der Akku der Drohne wird schwächer.
Rupprecht Walch schaut konzentriert auf den Bildschirm und stutzt plötzlich. „Vier“, sagt er nur. Er zoomt auf die Wiese und bestätigt: vier Kitze. Ralf Stoll und seine Helfer Lukas Zuber und Mirko Calderara hören ihn schon gar nicht mehr, sprinten durch das hohe, nasse Gras zu der Stelle, wo die Drohne über der Wiese steht. Auch Rupprecht Walch hält es nicht am Platz: seltene Vierlinge. Er übergibt die JoystickHoheit an seinen Piloten-Kollegen Dieter Hampl und rennt den Männern hinterher. Das erste Kitz ist schnell gefunden. Zwei, drei Schritte daneben liegen seine drei Geschwister: Die kleinen Körper passen in eine Männerhand, die Läufe sind noch strähnig-nass. Ein Anblick, der selbst erfahrene Jäger rührt. „Die sind noch keine 24 Stunden alt“, sagt Ralf Stoll. Sie hätten keine Chance gehabt gegen ein Mähwerk. Ralf Stoll zieht Gummihandschuhe an, reißt Grasbüschel aus und hält ein Kitz nach dem anderen hoch: Mirko Calderara befestigt mit einer Zange Ohrmarken an den jungen Tieren und stellt gleich das Geschlecht fest: zwei männliche und zwei weibliche Kitze. „Vierlinge! Das habe ich in 20 Jahren noch nicht erlebt“, sagt Ralf Stoll. Einen kurzen Moment sagt niemand etwas, nur die Drohnen-Rotoren sind zu hören. Dann bringt Lukas Zuber einen Umzugskarton, legt ihn mit Gras aus. Vorsichtig heben die Jäger die vier kleinen Tiere in die Kiste, tragen sie zum Auto und fahren auf die andere Seite eines kleinen Grabens. In einem Weizen-Feld setzen sie die Kitze zwischen die Pflanzen. Die kleinen Tiere machen sich jetzt bemerkbar: Sie fiepen laut und durchdringend. „Die Mutter findet sie auf jeden Fall wieder und kommt zum Säugen“, versichert Ralf Stoll. Die Mission ist beendet, die Kitze gerettet. Dank guter Absprache mit den Landwirten, dank vieler Helfer und dank der modernen Technik.