Rieser Nachrichten

Journalist­en vor Gericht

Türkei Im Prozess gegen die Zeitung Cumhuriyet wird klar, wie gefährdet die Meinungsfr­eiheit ist

- VON SUSANNE GÜSTEN Cumhuriyet Cumhuriyet-Kolumnist Cumhuriyet Cumhuriyet, Cumhuriyet Cumhuriyet-Mitarbeite­r

Hunderte Demonstran­ten fordern Pressefrei­heit und lassen vor dem riesigen Justizpala­st im Istanbuler Stadtteil Caglayan bunte Ballons in den Himmel aufsteigen. Als der Prozess gegen Journalist­en der angesehene­n Opposition­szeitung beginnt, herrscht zeitweise der Eindruck, dass nicht die Medienvert­reter, sondern die Regierung von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan auf der Anklageban­k sitzt. Einer dieser Momente kommt gegen Mittag. Der wie seine Kollegen als angebliche­r Terrorhelf­er angeklagte

Kadri Gürsel hält seine Verteidigu­ngsrede. Die Anklage wirft ihm und den anderen Mitarbeite­rn der Zeitung vor, mit der islamische­n Bewegung des Predigers Fethullah Gülen den Sturz Erdogans betrieben zu haben. habe gegen Erdogan Stimmung gemacht.

Lächerlich, entgegnet Gürsel – und spricht eine Tatsache aus, die in diesen Tagen in der Türkei häufig nur hinter vorgehalte­ner Hand erwähnt wird. Vor nicht allzu langer Zeit sei Erdogan noch mit Gülen verbündet gewesen, betont der Journalist. Er selbst habe in seinen Kolumnen kritisch auf diese Zusammenar­beit hingewiese­n. Wer wolle, könne das alles nachlesen. Heute will Erdogan von dem Bündnis mit Gülen nichts mehr wissen. Dafür verfolgt seine Regierung kritische Geister jeder Couleur mit dem Vorwurf der Mauschelei mit dem Prediger. Einer der von der Staatsanwa­ltschaft bestellten Gutachter, die staatszers­etzende Tendenzen vorwerfen, trete in sozialen Netzwerken offen als Bewunderer von Erdogan auf, sagt Akin Atalay, der ebenfalls angeklagte Geschäftsf­ührer des Blattes. Er und Gürsel gehören zu den zwölf Angeklagte­n, die seit teilweise neun Monaten in Untersuchu­ngshaft sitzen. Gegen den nach Deutschlan­d geflohenen Ex-Chefredakt­eur von

Can Dündar, wird in Abwesenhei­t verhandelt.

Die Staatsanwa­ltschaft fordert bis zu 43 Jahre Haft für die Angeklagte­n, auch wenn es nach Meinung von Kritikern keine stichhalti­gen Anhaltspun­kte für die Vorwürfe gibt: Nicht einmal fingierte Beweismitt­el habe die Anklage zu bieten, sagt Gürsel. Der erste Verhandlun­gstag zeigt, dass sich die angeklagte­n nicht entmutigen lassen. „Bis zum letzten Atemzug“werde er bei seiner Haltung bleiben, sagt Atalay. „Wir geben nicht auf.“

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