Rieser Nachrichten

„Das wird der reine Horror für uns alle“

Star-Autor T.C. Boyle sieht die Zukunft düster. Deshalb wünscht er seinen Kindern vor allem eines

- T(homas) C(oraghessan) Boyle

Mr. Boyle, Ihr jüngster auf Deutsch erschienen­er Roman, „Die Terranaute­n“, spielt auf ein Experiment an, das Anfang der 90er Jahre in den USA stattgefun­den hat. Damals lebten acht Menschen unter einer Glaskuppel in einer künstliche­n Biosphäre. Angeblich diente das dem wissenscha­ftlichen Fortschrit­t.

T.C.Boyle: Nicht nur angeblich: Die Bewohner der „Biosphäre 2“haben damals durchaus versucht, Wissenscha­ft zu betreiben. Allerdings war es keine aufrichtig­e Wissenscha­ft. Denn aufrichtig­e Wissenscha­ft würde bedeuten: Wir haben eine Theorie, also lasst sie uns überprüfen! Doch sie hatten keine Theorie. Sie wollten einfach nur ausprobier­en, ob sie eine zweite Biosphäre erschaffen können, die unabhängig von unserer ersten funktionie­rt.

Sie konnten es nicht.

Boyle: Nein. Eine Teilnehmer­in musste wegen eines Unfalls schon nach zwölf Tagen die Glaskuppel verlassen. Wie sollte also so eine künstliche Welt etwa auf dem Mars funktionie­ren? Da gibt es keine Krankenhäu­ser!

In Ihrem Roman können wir nicht nur beobachten, wie unmöglich es scheint, eine solche zweite Biosphäre zu kreieren. Wir sehen auch, wie egoistisch und planlos wir uns in einer solche Biosphäre verhalten würden. Sind wir Menschen vielleicht einfach zu dumm, um dauerhaft zu überleben?

Boyle: Ich möchte dem nicht widersprec­hen. Als Roman-Autor wundere ich mich vor allem darüber, wie leichtfert­ig viele Menschen glauben, ein solches Leben unter einer Glaskuppel führen zu können. Dabei wissen wir doch von Wissenscha­ftlern, die mehrere Monate auf Forschungs­stationen in der Antarktis verbracht haben, welch enorme psychische Belastung so etwas mit sich bringt! In dem Zusammenha­ng fällt mir übrigens etwas Lustiges ein.

Nämlich?

Boyle: Als das Buch in Amerika erschienen ist, fragten mich viele Journalist­en: „Herr Boyle, haben wir Sie richtig verstanden, dass Sie auch gerne mal unter so einer Glaskuppel leben würden?“Die waren überrascht, als ich antwortete, dass das mein absoluter Albtraum wäre! Wo leben Sie denn tatsächlic­h? Boyle: Ich brauche so viel Berührung mit der Natur wie nur möglich. Jede freie Minute verbringe ich in den kalifornis­chen Bergen. Dort steht auch mein Haus, in dem ich täglich arbeite. Nach der Arbeit geht es immer in die Einsamkeit des Waldes. Dann lese ich ein Buch, lege mich in die Sonne oder wandere. Aber ich spreche mit keiner Menschense­ele.

Dabei gelten Sie doch als ausgesproc­hen kontaktfre­udiger Autor!

Boyle: Ja, das ist meine andere Seite. Ich mag Menschen, aber ich brauche auch die tiefe Beziehung zur Natur. Ich erzähle Ihnen dazu mal was!

Nur zu!

Boyle: Als meine Kinder noch kleiner waren und zur Schule gingen, war ich tagsüber oft ganz alleine zu Hause. Entweder schrieb ich oder ich lief durch die Wälder, es war herrlich. Einmal im Mai gab es einen Feiertag, und ich nörgelte schon morgens vor mich hin: Jetzt kommen wahrschein­lich wieder alle möglichen Leute zum Ausflug in die Berge! Trotzdem wollte ich es mir nicht nehmen lassen, zu einem meiner Lieblings-Wasserfäll­e zu wandern. Auf dem Weg dorthin musste ich ein Stück auf einer Straße entlanggeh­en. Da hörte ich plötzlich von unten ein Auto kommen. Raten Sie mal, was ich tat!

Sie drehten sich um?

Boyle: Ich stürzte mich wie von Sinnen ins Gebüsch! So ergeht es mir, wenn mich so etwas Fremdes wie ein Auto in meiner Einsamkeit da oben stört!

In Ihren Romanen gibt es keine Büsche, in denen Menschen Schutz finden könnten. Die Aussichten sind oft düster.

Boyle: Ich bin in der Tat der Meinung, dass die Zukunft für unsere Spezies schlecht aussieht. Dabei denke ich an die globale Erwärmung, aber auch an die Flüchtling­skrise, die durch diese Erwärmung ja wesentlich verursacht wird. Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist Bangladesc­h überflutet. Wohin sollen all die dort wohnenden Men- schen gehen? Das wird der reinste Horror für uns alle!

Wie wollen Sie Ihren Kindern bei so deprimiere­nden Prognosen noch Zuversicht und Lebensmut vermitteln? Boyle: Meine Kinder haben das ungeheure Privileg, in einer westlichen demokratis­chen Gesellscha­ft aufzuwachs­en, sie dürfen sich frei äußern, haben genügend zu essen, saubere Luft und sauberes Wasser. Mir als Vater bleibt nichts, als ihnen für die Zukunft viel Glück zu wünschen. Aber ganz ehrlich: Gut sieht das nicht aus.

Warum genau schreiben Sie immer wieder über diese schlechten Aussichten: Weil man im Untergangs-Szenario den Menschen besser kennenlern­t? Oder weil Sie hoffen, mit Ihren Romanen etwas verändern zu können? Boyle: Ich hätte zwar nichts dagegen, wenn Letzteres zutreffen sollte. Allerdings treibt mich nichts von alledem wirklich an. Ich bin Künstler, und als solcher gelingt mir tiefes Nachdenken überhaupt nur über die Kunst. Als ich an meinen Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“gearbeitet habe, traf ich mich mehrfach mit Biologen. Sie sagten mir: „Wir Biologen können nur deprimiere­nde Vorträge halten und Aufsätze schreiben. Du aber gibst diesen Vorträgen eine Geschichte. Damit kannst du eine viel stärkere Botschaft aussenden als wir!“Ich musste ihnen dann immer erklären, dass ich es gar nicht als meine Aufgabe verstehe, Botschafte­n auszusende­n.

Sondern?

Boyle: Meine Aufgabe ist es, künstleris­ch zu ergründen, wie unsere Spezies hier und heute lebt und was ich dabei empfinde. Warum sind wir hier? Gibt es Gott? Warum müssen wir sterben? Warum sind Wissenscha­ft und Religion gleicherma­ßen Voodoo? Warum hat niemand die Antwort?

Ihr Präsident, Donald Trump, bezeichnet den Klimawande­l als eine Erfindung der Chinesen. Ich möchte Sie jetzt nicht fragen, ob Sie ihm darin zustimmen …

Boyle: (lacht) … Wahrschein­lich haben Sie schon eine Idee, wie meine Antwort ausfallen könnte!

Weniger vorhersehb­ar ist, ob Sie es für möglich halten, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.

Boyle: Nein, keine Chance. Er ist auf katastroph­ale Weise ungebildet und unqualifiz­iert. Zurzeit wird Amerika von Unternehme­n kontrollie­rt, die sich nur um ihren Profit scheren. Trump können wir irgendwann loswerden. Ob wir aber auch diese Unternehme­n loswerden können, scheint mir fraglich. Das ist alles eine einzige Katastroph­e, und zwar nicht nur für Amerika, sondern für die ganze Welt. Allein die aktuelle Umweltpoli­tik wirft uns um hundert Jahre zurück. Wenn ich morgens die Zeitung lese, weine ich erst zehn Minuten – und mache mich dann an die Arbeit.

Interview: Johannes Bruggaier wurde 1948 im US Bundesstaa­t New York geboren. Er gilt als einer der wichtigste­n amerikanis­chen Erzäh ler. Zu seinen Romanen gehören Titel wie „Wassermusi­k“, „Willkommen in Wellville“und „Dr. Sex“.

 ?? Foto: Ennio Leanza, Picture Alliance/Keystone ?? „Ich mag Menschen, aber ich brauche auch die Natur“: Schriftste­ller T.C.Boyle.
Foto: Ennio Leanza, Picture Alliance/Keystone „Ich mag Menschen, aber ich brauche auch die Natur“: Schriftste­ller T.C.Boyle.

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