Ein überzeugter Europäer
Der Preisträger des Deutschen Buchpreises 2017, Robert Menasse, liest in Reimlingen aus seinem Werk „Die Hauptstadt“. Für die Recherche hat er vier Jahre in Brüssel gelebt
Reimlingen Es gibt Lesungen, die promoten mehr oder weniger gelungen ein Buch, der Autor steigt dafür aus seinem Elfenbeinturm herab und stellt sich seinem Publikum. Und es gibt Lesungen, wie die von Robert Menasse in Reimlingen, die vom ersten Wort an derart fasziniert, dass sie mit keinem anderen Begriff wie grandios beschrieben werden können.
Menasse zieht das Publikum im voll besetzten Saal des Tagungshauses sofort in seinen Bann. Sein Lesen ist schauspielerische Glanzleistung, sein Wortwitz, der Wiener Schmäh und der dezidierte Vortrag lassen seinen großen Roman „Die Hauptstadt“auch für Menschen, die ihn schon gelesen haben, in einem nochmals anderen Licht erstrahlen. „Menasse ist ein scharfsinniger Essayist, ein begnadeter Romancier, ein großer Europäer“, wie Gabriele Fischer von der Kolping-Akademie Donauwörth in ihrer Begrüßung so treffend darlegte, „er gehört zu den Erscheinungen, die so schmerzhaft selten geworden sind in diesen Zei- ten, ein streitbarer Intellektueller. Jemand, der einen vom Verzweifeln an den Zeiten abhält. Die geistige Landschaft wäre ärmer ohne ihn.“
Genau das empfinden wohl die meisten der Zuhörer während seiner Lesung. Er schreibt in einer eleganten Sprache, und zeigt mit subtilem Humor eine geradezu unglaubliche Fähigkeit, sich in seine Protagonisten einzufühlen, sie dem Leser nahezubringen und die Handlungsstränge der Figuren miteinander zu verweben. Er beginnt mit dem „Prolog“. Allein wie er das „Schwäään“(Schwein) schildert, das als ein sozusagen „schweinchenrosa Faden“durch das gesamte Buch und die Stadt Brüssel geistert, bringt das Publikum zum Schmunzeln. Und dieses Schmunzeln zieht sich durch die Lesung eines Romans, der dennoch ein alles andere als lustiges Thema behandelt, die Europäische Union nämlich. Dass man darüber einen Roman schreiben kann, ist denkwürdig genug. Damit den Deutschen Buchpreis 2017 verliehen zu bekommen, noch mehr. Melasse hat, das erzählte er nach der Lesung, für die Recherche vier Jahre in Brüssel gelebt und zahlreiche Beamte kennengelernt. „Man muss sie einmal erlebt haben“, sagt er dazu. Es gibt sie alle, in seinem Roman, diese Beamten, „aber niemand ist wiedererkennbar“.
Dass Menasse nach dieser Zeit immer noch überzeugter Europäer ist und die Europäische Kommission als hoch qualifizierten Apparat bezeichnet, der nur immer wieder „von unfähigen Kommissaren gebremst wird“, ist überaus bemerkenswert und machte die Gesprächsrunde nach der Lesung genauso erhellend wie das Buch selbst. Wer weiß denn schon, dass die Brüsseler Beamten die einzigen der Welt sind, die keinen Eid auf eine Nation, sondern auf eine Idee (die von Europa) geleistet haben?
Deutlich wurde auch, dass Menasse – trotz aller Zweifel an der Ausführung und die ewige Politik der winzig kleinen Schritte – von der „Schleichenden Revolution“(damit meint er die EU) überzeugt ist. Das hat viele Besucher erstaunt und auch ein Stück weit versöhnt mit ihrem Europa-Bild. „Es wird sich bald entscheiden müssen, welcher Typus Europäer die Zukunft bestimmt: der universale Europäer oder der eindimensionale Europäer. Das heißt aber auch: ob auf diesem Kontinent in Zukunft Menschenrecht oder wieder Faustrecht herrscht.“
Dieses Zitat von Menasse hängt jeden Montag während der PegidaAufmärsche am Staatsschauspiel Dresden. Welch’ ein Statement – so wie die Lesung in Reimlingen.