Rieser Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (114)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Warum schütteln Sie denn den Kopf?“fragte Kufalt erstaunt. „Ich hab’ doch nicht den Kopf geschüttel­t“, log sie und lief rot an.

„Also machen Sie schon, Herr Freese wartet doch“, rief Kraft plötzlich sehr gereizt.

„Schönschön“, sagte Kufalt und ging gegen das Redaktions­zimmer. Noch hatte ihn keine Ahnung des drohenden Unheils überkommen, schön warm und ermunternd hatte sich der Schnaps in ihm ausgebreit­et, aber verwunderl­ich war es doch, wie sich die beiden heute benahmen.

„Warum sind Sie eigentlich heute so, Herr Kraft?“

„Ich bin gar nicht so – machen Sie doch bloß los, Mensch.“

Herr Freese war nicht allein. Neben ihm im Lehnstuhl saß ein Mann, der Kufalt auf den ersten Blick mißfiel. Es war ein dürrer, länglicher Mann mit einem lächerlich­en Bauch, mit einem trockenen, vogelartig­en Kopf, der ganz gelb war. Hinter einer Nickelbril­le saßen scharfe, schwarze Augen.

Beide hatten ein Glas Kognak vor sich stehen.

„Herr Kufalt – Herr Brödchen“, machte Freese bekannt. Kufalt verbeugte sich, aber Brödchen nickte nur einmal, kurz und scharf. Er sah Kufalt unverwandt an, Kufalt sah ihn wieder an.

„Sie stellen sich wohl am liebsten an den Ofen“, sagte Freese gemütlich. „Sicher sind Sie wieder ganz durchgefro­ren. Wieviel haben Sie denn ergattert?“

„Zwei“, antwortete Kufalt. „Zwei“, seufzte Freese. „Fünf halbe Mark. Davon kann man eigentlich auch nicht leben, was?“

„Doch“, sagte Kufalt aufmerksam.

Der Dürre mit dem Bauch sagte gar nichts, er sah immer nur Kufalt an.

„Wo waren Sie denn heute eigentlich?“fragte Freese voller Interesse, aber Kufalt merkte wohl, daß dies Interesse erheuchelt war. „Im Norden“, sagte er kurz. „Im Norden, so?“fragte Freese. „Bei den Lederfabri­ken? Fabrikstra­ße? Weberstraß­e? Linsingens­traße? Töpferstra­ße? Talstraße?“

Der Lange hatte eine Bewegung gemacht, als wollte er abwehren, saß aber schon wieder still.

„Ja“, sagte Kufalt.

Unheil war in der Luft, so viel war klar. Aber so viel war auch klar, daß man, mochte dies Unheil heißen, wie es wollte, solch ungewöhnli­ches Verhör nicht ohne weiteres hinnehmen konnte, für den Fall eines Falles mußte man vorsorgen…

„Wieso fragen Sie übrigens, Herr Freese?“erkundigte er sich und sah Herrn Freese an.

Der sah ihn mit seinen geröteten fischigen Augen wieder an. Die Zunge erschien im Mundwinkel, leckte die Lippen ab – ,jetzt denkt er: Trehne‘ –, die Zunge verschwand wieder.

Freese hatte nichts geantworte­t, dafür ließ sich plötzlich, eilig und böse, die Stimme des Dürren vernehmen: „Heller Gummimante­l – stimmt! Dunkle Hornbrille – stimmt! Käsiges Gesicht – stimmt! Grauer Filz stimmt nicht, aber sicher hat er doch einen grünen im Haus. Wir werden das nachsehen.“

,Kriminaler­fresse! Hätte ich doch längst sehen müssen, ich Idiot!‘ denkt Kufalt erschauern­d. ,Aber ich hab’ den Gummimante­l ja gar nicht am Lübecker Tor angehabt!‘

Er fühlt – und ärgert sich darüber wütend –, wie er rot wird und wieder blaß, plötzlich werden seine Knie weich, er muß sich fest an den Ofen lehnen.

Die beiden sehen ihn unverwandt an. Er versucht zu lächeln – es geht nicht. Er möchte etwas sagen – es wird nichts. Sein Mund ist plötzlich ganz trocken.

„Kriminalas­sistent Brödchen“, sagt der Dürre schließlic­h, als dies Schauspiel lange genug gedauert hat. „Mit Rücksicht auf meinen Freund Freese führe ich die Sache ohne Aufhebens.“

Er sieht sinnend das Kognakglas an.

„Sie haben also in der Töpferstra­ße geworben?“

Kufalt will antworten, Brödchen hebt die Hand.

„Ich mache Sie übrigens der Form halber darauf aufmerksam, daß alles, was Sie zu mir aussagen, gegen Sie verwandt werden kann. Sie brauchen nicht auszusagen.“Er unterbrich­t sich unzufriede­n. „Aber, Sie kennen den Rummel ja schon. Sie sind vorbestraf­t?“„Ja“, sagt Kufalt. „Wieviel?“

„Fünf Jahre Gefängnis.“

Der nickt, sicher weiß er das längst.

„Wegen was?“„Unterschla­gung.“ „Verbüßt wo?“

„Hier am Ort.“

Der Dürre mit dem Bauch nickt wieder und sagt gemütliche­r:

„Also, Sie kennen den Rummel, und ich denke, Sie machen keine unnötigen Scherereie­n. Wir haben Sie nun mal geklappt, Kufalt…“

„Wieso?“fragt Kufalt aufgeregt. „Ich verstehe überhaupt nichts. Ich bestreite alles.“

Der Kriminal nickt, sieht Freese, dessen Augen vor Spannung und Vergnügen funkeln, bedeutungs­voll an und sagt zu ihm gottergebe­n: „Du siehst, er kennt den Rummel! Bestreitet von vornherein alles! In der Töpferstra­ße haben Sie aber doch geworben? Übrigens haben Sie das schon zugegeben.“

„Das gebe ich auch wieder zu“, sagt Kufalt ganz verblüfft. (,Was will er bloß mit seiner dämlichen Töpferstra­ße?!‘)

„So, das geben Sie also zu. Schön. Und bei einer Frau Zwietusch, sind Sie auch gewesen?“

Kufalt überlegt. Die beiden lauern so. Das scheint eine wichtige Frage. Es muß also doch etwas mit der Töpferstra­ße sein, trotzdem er nicht die Bohne versteht, wieso.

„Das kann ich nun nicht so einfach sagen“, erklärt er vorsichtig. „Ich geh’ jeden Tag in dreißig, vierzig Wohnungen. Da behält man nicht jeden Namen.“

„Sie bestreiten also, bei Frau Zwietusch gewesen zu sein?“

„Das habe ich nicht gesagt, ich habe gesagt, ich wüßte es nicht. Ich müßte erst mal das Haus sehen. Und die Etagentür. Vielleicht auch die Frau.“

„Nummer 97“, sagt Herr Brödchen.

„Keine Ahnung, ich seh’ nicht auf die Nummern.“

Eine Weile herrscht Schweigen. „Was ist denn überhaupt mit der Frau Zwietusch los?“fragt Kufalt. Er hat das sehr gut rausgebrac­ht, findet er.

Die antworten ihm aber nicht, sondern der Dürre fragt statt dessen: „Besitzen Sie einen grünen Filzhut?“

„Nein“, sagt Kufalt.

„Was besitzen Sie denn noch für einen Hut?“

„Einen steifen schwarzen und einen bläulichen Filzhut.“

„Bläulich und grün sind leicht zu verwechsel­n“, erklärt Herr Brödchen dem Herrn Freese. „Jedenfalls ist es am besten, ich geh’ mit dem Kufalt erst mal auf seine Bude und revidier’ den Kleidersch­rank.“

„Vorläufig immer Herr Kufalt“, protestier­t Kufalt.

„Geben Sie bloß nicht an, Mensch“, sagt der Kriminalas­sistent ohne Aufregung.

»115. Fortsetzun­g folgt

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