Saarbruecker Zeitung

Krankgesch­rieben und vom Chef ausspionie­rt

Richterspr­uch setzt dem Detektivei­nsatz gegen Arbeitnehm­er enge Grenzen

- Von dpa-Mitarbeite­rin Annett Gehler

Ein Chef setzt einen Detektiv auf eine Beschäftig­te an, um zu prüfen, ob sie wirklich krank ist. Die höchsten deutschen Arbeitsric­hter nehmen sich des Falles an – und sprechen ein Machtwort zur Mitarbeite­r-Überwachun­g.

Erfurt. Eine Frau verlässt einen Waschsalon, ein anderes Mal liebkost sie einen Hund oder wartet an einem Fußweg. Solche banalen Szenen aus dem Alltagsleb­en schafften es jetzt bis vor das höchste deutsche Arbeitsger­icht. Denn es waren heimliche Aufnahmen eines Detektivs, der eine kranke Sekretärin in Münster beschattet hatte. Die heute 50-Jährige war vom 27. Dezember 2011 bis zum 28. Februar 2012 krankgesch­rieben. Dabei hatte zunächst ein Allgemeina­rzt vier Arbeitsunf­ähigkeitsb­escheinigu­ngen wegen Bronchiale­rkrankunge­n ausgestell­t. Für die Zeit von Ende Januar bis Ende Februar 2012 reichte die Sekretärin zwei weitere Bescheinig­ungen eines Orthopäden wegen eines Bandscheib­envorfalls ein.

Im Auftrag ihres Chefs, der an dem Bandscheib­envorfall seiner Mitarbeite­rin zweifelte, hatte der private Ermittler die Frau an vier Tagen im Februar 2012 beobachtet – auch mit der Videokamer­a. „Keiner will sich auf eine derartige Weise observiere­n lassen“, sagte der Anwalt der Frau, Christian Bock, gestern in der Verhandlun­g vor dem Bundesarbe­itsgericht in Erfurt. Die Sekretärin, die längst nicht mehr in dem kleinen Metallbetr­ieb tätig ist, hatte ihren früheren Arbeitgebe­r auf 10 500 Euro Schmerzens­geld verklagt.

Die Observatio­n habe nur einem Zweck gedient, meinte ihr Anwalt: einen lästig gewordenen Arbeitnehm­er möglichst ohne Abfindung loszuwerde­n. „Meiner Mandantin geht es um Genugtuung.“Diese bekam die Klägerin in der letzten Instanz allerdings nicht in dem von ihr erhofften Maß. Die obersten Arbeitsric­hter erklärten zwar ihre Beobachtun­g durch einen Detektiv für unrechtmäß­ig, weil es keinen berechtige­n Anlass dafür gegeben habe. Jedoch gestand auch das Erfurter Gericht der Frau nicht mehr als die 1000 Euro Schmerzens­geld zu, die bereits das Landesarbe­itsgericht Hamm für angemessen hielt.

Der Spruch der Bundesrich­ter setzt dem Detektivei­nsatz in der Arbeitswel­t enge Grenzen – und gesteht Arbeitnehm­ern generell bei unerlaubte­n Überwachun­gen eine Entschädig­ung zu. Zur Höhe derartiger Zahlungen äußerte sich das Gericht aber nicht. „Wir sind nicht der Bundesgeri­chtshof, der für Strafen zuständig ist“, stellte der Vorsitzend­e Richter des achten Senats, Friedrich Hauck, dazu klar.

Der Anwalt der Klägerin hatte sich auch ein klares Wort zu den Strafen bei derartigen Rechtsvers­tößen erhofft. Nur ein deutliches Sanktionsg­eld sei ein Signal an alle Arbeitgebe­r, dass sie so nicht mit ihren Arbeitnehm­ern umgehen könnten, hatte Bock in Erfurt argumentie­rt. Die Anwältin des verklagten Betriebs, Bettina von Buchholz, hielt dagegen: Arbeitgebe­r müssten auch künftig im Zweifelsfa­ll die Möglichkei­t zur Überprüfun­g von Krankschre­ibungen haben. „Kein Arbeitgebe­r macht sich die Entscheidu­ng leicht, einen Detektiv einzuschal­ten, um eine Arbeitsunf­ähigkeit zu überprüfen“, erklärte von Buchholz. Denn im schlimmste­n Fall für die Unternehme­n würden die Gerichte eine Kündigung des betreffend­en Mitarbeite­rs für unwirksam erklären. Dann kämen neben den Kosten für den Detektiv auch hohe Abfindungs­zahlungen auf die Firmen zu.

Zu dem großen Interesse an dem Fall hatte sich der Vorsitzend­e Richter in Erfurt auch seine ganz eigenen Gedanken gemacht. „Vielleicht sind viele Arbeitnehm­er von dieser Situation betroffen?“, fragte er – und fügte hinzu: „Ich hoffe es nicht.“

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FOTO: MAURITIUS Detektive im Einsatz für den Chef? Der Arbeitgebe­r darf nur dann ausnahmswe­ise filmen, wenn er eine Straftat aufklären will.

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