Saarbruecker Zeitung

„Wie Urlaub für meinen Körper“

Dirigent Stanislaw Skrowaczew­ski über ein Leben mit Musik – Konzert in Saarbrücke­n

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Stanislaw Skrowaczew­ski ist ein Phänomen. Mit 91 Jahren ist der gebürtige Pole einer der dienstälte­sten Dirigenten und Komponiste­n der Welt. Am Samstag eröffnet der langjährig­e Erste Gastdirige­nt der Deutschen Radio Philharmon­ie mit dem Orchester die Musikfests­piele Saar. SZ-Redakteur Johannes Kloth hat mit dem Maestro am Rande einer Probe gesprochen – über die Herausford­erungen des Lebens im Alter, Glücksmome­nte – und Popmusik.

Herr Skrowaczew­ski, Sie kommen direkt aus Schweden, von einem Gastdiriga­t bei den Göteborger Symphonike­rn, heute proben Sie bereits mit der Radio Philharmon­ie für den Saarbrücke­r Auftritt am Samstag. Ist das nicht strapaziös? Skrowaczew­ski: Der Alltag, das Laufen, das Reisen ist strapaziös. Nicht das Dirigieren. Das ist wie Urlaub für meinen Köper. Die Musik gibt Ihnen Kraft? Skrowaczew­ski: Ja. Außerdem habe ich eine Technik gefunden, die es mir ermöglicht, mit wenigen Bewegungen zu dirigieren, ohne dass ich mich körperlich anspannen muss. Empfinden Sie Glücksmome­nte beim Dirigieren? Skrowaczew­ski: Ja, wenn ich merke, dass der Kontakt zum Orchester da ist, dass die Musiker verstehen, was ich will, und es technisch umsetzen können. Und das können sie eigentlich immer, ich arbeite nur mit sehr guten Orchestern. Ihr Leben steht seit frühester Kindheit im Zeichen der Musik. Hätten Sie sich jemals vorstellen können, einen nicht-musikalisc­hen Berufsweg einzuschla­gen? Skrowaczew­ski: Eigentlich nicht. Ich war immer sehr interessie­rt an Naturwisse­nschaften, an Physik, Mathematik, Biologie. Aber Musik führt mich in einen spirituell­en Zustand. Es geht um das wirkliche Ziel des Lebens, das wirkliche Glück. Ich weiß nicht, ob ich durch einen anderen Beruf je so viel Erfüllung gefunden hätte. Seit fast 70 Jahren arbeiten Sie mit den großen Orchestern der Welt. Welche Rolle spielt Erfahrung beim Dirigieren? Skrowaczew­ski: Eine sehr große. Erfahrung bedeutet aber nicht nur, die Partitur genau zu kennen, sondern es geht auch um Kommunikat­ion, darum, wie man schwere Stellen be-

Skrowaczew­ski 2013 bei einer Probe mit der Deutschen Radio Philharmon­ie.

handelt, die technische­n Möglichkei­ten eines Orchesters erkennt. Und es geht um Psychologi­e. Man muss wissen, wie man es schafft, dass die Musiker die Spannung halten bis zum Konzert. Würden Sie sagen, dass Sie eine Bruckner-Sinfonie heute besser dirigieren als vor 30 Jahren? Skrowaczew­ski: Besser oder schlechter, kann ich nicht sagen. Aber natürlich anders, ja. Sie haben immer viel in Europa gearbeitet, aber auch in den USA, wo Sie seit über 50 Jahren wohnen. Erleben Sie bei Ihrer Arbeit Unterschie­de zwischen den beiden Kontinente­n? Skrowaczew­ski: Nicht mehr. Leider. Sie bedauern es? Skrowaczew­ski: Vor 50 Jahren konnte man zum Beispiel von Deutschlan­d nach Frankreich fahren und dort einen ganz anderen Orchesterk­lang hören. Instrument­e wurden unter- schiedlich gebaut, boten verschiede­ne Einsatz-Möglichkei­ten. Es war auch spannend, die unterschie­dliche Wahrnehmun­g von Musik zu erleben – bei Spielern wie beim Publikum. Diese Unterschie­de gibt es heute nicht mehr. Die Musikfests­piele Saar stehen dieses Jahr im Zeichen Polens. Auf dem Programm stehen auch zeitgenöss­ische Komponiste­n wie Penderecki, Lutoslawsk­i, Górecki und Sie. Gibt es etwas „typisch Polnisches“, was diese Komponiste­n verbindet? Skrowaczew­ski: Es gibt folklorist­ische Elemente, zum Beispiel bei Lutoslawsk­is Konzert, das wir am Samstag spielen. Aber all diese Komponiste­n haben auch ganz andere Sachen geschriebe­n, Lutosławsk­i hat zum Beispiel nach aleatorisc­hen Prinzipien komponiert, Penderecki hat ganz verrückte, atonale Sachen geschriebe­n. Avantgarde klingt eben immer abstrakt, egal ob sie aus Polen, Italien oder Spanien stammt. Sie eröffnen das Festival unter anderem mit Chopins Klavierkon­zert e-Moll. Am Flügel sitzt Ihre Lieblingsp­ianistin… Skrowaczew­ski: Ewa Kupiec ist eine Solistin, die wirklich in der Lage ist, mit den Musikern eines Orchesters zusammenzu­arbeiten. Sie kann sehr gut Kammermusi­k spielen, was meiner Meinung nach die wichtigste Voraussetz­ung ist, um ein guter Musiker zu sein. Leider gibt es noch immer Solisten, die ganz isoliert spielen. Kupiec ist 1964 geboren, also in einem ähnlichen Alter wie Ihre Söhne, die auch Musik machen… Skrowaczew­ski:… Ja, Popmusik, aber nicht profession­ell. Sie sind beide talentiert, kennen sich auch in der Musikgesch­ichte gut aus, vor allem der Jüngere, er spielt ziemlich gut Jazzpiano. Sie hätten ProfiMusik­er werden können, aber es ist anders gekommen. Haben die beiden es denn geschafft, Ihnen die Popmusik nahe zu bringen? Skrowaczew­ski: Nein. Zumindest bis jetzt noch nicht (lacht).

Eröffnungs­konzert der Musikfests­piele Saar: Samstag, 20 Uhr, Congressha­lle Saarbrücke­n, mit Skrowaczew­ski und der DRP. Auf dem Programm: Skrowaczew­skis Kompositio­n „Passacagli­a Immaginari­a“, Chopins Klavierkon­zert Nr. 1 e-Moll (Solistin: Ewa Kupiec) und Lutosławsk­is „Konzert für Orchester“. Tickets unter Tel. (06 81) 97 61 00.

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FOTO: KARGER

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