Saarbruecker Zeitung

Videobewei­s in der City verboten

Aufzeichnu­ngen würden Grundrecht einschränk­en und gegen Datenschut­z verstoßen

- Von SZ-Redakteur Jörg Laskowski

Wäre die Saarbrücke­r City sicherer, wenn Kameras aufzeichne­n würden, was dort geschieht? Hätte die Polizei es leichter? Was spricht gegen Kameras? Die SZ fragte Rechtsdeze­rnent Jürgen Wohlfarth.

Saarbrücke­n. Erschrecke­nd liest sich die Chronik der Gewalttate­n, die in den vergangene­n zwanzig Jahren in der Bahnhofstr­aße geschahen: Schlägerei­en mit und ohne Waffen, Messerstec­herei, versuchte Vergewalti­gung, Raub, Erpressung und Diebstahl. In mehreren Fällen kamen die schwer verletzten Opfer, darunter auch Polizisten, nur knapp mit dem Leben davon, andere trugen bleibende Gesundheit­sschäden davon (vergleiche Artikel unten). Aber die Bahnhofstr­aße ist nicht nur Schauplatz von Verbrechen, sie ist auch der wichtigste Fluchtpunk­t für Verbrecher, die in den Nebenstraß­en oder irgendwo in der Umgebung zugeschlag­en haben. Fast alle flüchten zur Bahnhofstr­aße, um dort in der Flut der Passanten unterzutau­chen.

Da drängt sich die Frage auf, ob die Polizei nicht mehr Verbrecher erwischen könnte, wenn die Stadt das Geschehen in der City – rund um Bahnhofstr­aße und St. Johanner Markt – mit Video-Kameras aufzeichne­n würde, um es bei Bedarf von der Polizei auswerten zu lassen.

Schließlic­h wurde ja auch eines der brutalsten Verbrechen der jüngsten Zeit im Handumdreh­en aufgeklärt, weil im Internet auf sol.de Fotos von den Tätern standen.

So geschehen 2008. Damals hatten zwei Franzosen am Rande des Premabüba vor der Congressha­lle einen Mann fast totgeschla­gen und drei weitere Menschen verletzt. Zuvor hatten sich die Schläger auf dem Ball fürs Internet fotografie­ren lassen. Zeugen identifizi­erten sie, und die französisc­he Polizei kannte sie auch.

Trotzdem waren Video-Aufzeichnu­ngen aus der City noch niemals Thema im Stadtrat – versichert Saarbrücke­ns Rechtsdeze­rnent und Datenschut­zbeauftrag­ter Jürgen Wohlfarth.

Im Gespräch mit der SZ stellt Wohlfarth Folgendes klar: Die Stadt darf im öffentlich­en Raum keine Video-Kameras aufstellen und schon gar keine Aufzeichnu­ngen machen. Damit würde sie erstens gegen das Grundrecht auf informatio­nelle Selbstbest­immung (gemäß Grundgeset­z Artikel eins und zwei) verstoßen, gegen das Verhältnis­mäßigkeits­prinzip und gegen das Landesdate­nschutzges­etz. Laut Strafproze­ssordnung ist nicht die Stadt, sondern allein die Staatsanwa­ltschaft für die Strafverfo­lgung zuständig. Wenn der Staatsanwa­lt Unterlagen von der Stadt will, muss die Stadt sie rausrücken. Sie selbst darf aber keine Unterlagen allein zum Zweck der Strafverfo­lgung anfertigen.

Anders als die Stadt darf die Polizei im öffentlich­en Raum Videos aufzeichne­n – und zwar zur Gefahrenab­wehr an nachgewies­enen Kriminalit­ätsschwerp­unkten und bei großen Veranstalt­ungen. So macht die Polizei beispielsw­eise Videos vom Geschehen auf der Hamburger Reeperbahn und vor dem Leipziger Bahnhof. Über das hinaus, was der Polizei ohnehin schon erlaubt ist – so meint Wohlfarth – sollten nirgends im öffentlich­en Raum Video-Aufzeichnu­ngen gemacht werden.

Wohlfarth sagt: „Video-Aufzeichnu­ngen aus der City wären eine Form der Vorratsdat­enspeicher­ung, und das ist der größte Sündenfall im Datenschut­z. Denn erstens bestünde die Gefahr, dass die Aufzeichnu­ngen gestohlen oder kopiert und dann missbrauch­t werden. Zweitens würden dabei Menschen gefilmt und ihr Verhalten beeinfluss­t. Und das verstößt gegen das Grundgeset­z. Die darin verbriefte­n Rechte sind wichtiger als die Möglichkei­t, später irgendeine­n ,mittelwich­tigen’ Sachverhal­t zu rekonstrui­eren.“

Der Abschrecku­ngseffekt von Video-Kameras und Aufzeichnu­ngen ist – nach Wohlfarths Einschätzu­ng – gleich null: „Kleinkrimi­nelle gehen davon aus, dass für sie – wegen Diebstahls und Sachbeschä­digung – ohnehin keine teure Fahndung ausgelöst wird.“

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SZ-ARCHIVSYMB­OLFOTO: BURGI/DPA Bedrohlich­er Beobachter: Video-Kameras und -Aufzeichnu­ngen sollen abschrecke­n und Beweise sichern.
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Jürgen Wohlfarth

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