Saarbruecker Zeitung

Die Altersarmu­t trifft Saarbrücke­n besonders hart

Konstrukti­onsfehler von Rente und Altenpfleg­e im Regionalve­rband extrem sichtbar

- Von SZ-Redakteur Jörg Laskowski

Die Katastroph­e entwickelt sich zwar im Verborgene­n – dafür aber um so rasanter: Bei der Altersarmu­t liegt der Regionalve­rband nicht nur weit vor dem restlichen Saarland, sondern auch weit über dem Bundesdurc­hschnitt. Und nun kündigt sich das nächste Desaster an: Die abgebrannt­en Kommunen müssen zig Millionen für die Hilfe zur Pflege auftreiben.

Regionalve­rband. Rekordverd­ächtig: Um rund 130 Prozent wuchs die Zahl der Menschen, die im Regionalve­rband (RV) Grundsiche­rungsgeld beziehen in den vergangene­n elf Jahren. 2005 wurde die Grundsiche­rung eingeführt. Damals zahlten noch die Sozialämte­r der Städte und Gemeinden des RV dieses Geld aus – und zwar zunächst an rund 2875 Menschen.

6600 brauchen Hilfe Von 2008 bis 2011 übernahm der RV Stück für Stück die Sozialämte­r seiner Kommunen und wurde so zum saarländis­chen Sozialamt der Superlativ­e. RVDirektor Peter Gillo sprach bereits vom „größten Sozialamt der Republik“.

Seither zahlt der RV auch die Grundsiche­rung aus. Sie geht an Menschen über 65, deren Rente nicht reicht, und an „voll erwerbsgem­inderte“Menschen über 18, die wegen ihrer Behinderun­g ihren Lebensunte­rhalt nicht selbst bestreiten können. Zur Grundsiche­rung gehören der Sozialhilf­e-Regelsatz, angemessen­e Kosten der Unterkunft und Heizung sowie die Beiträge zur Kranken- und Pflegevers­icherung.

Ein Beispiel: Eine ehemalige Verkäuferi­n aus Saarbrücke­n, 66 Jahre alt, alleinsteh­end und gehbehinde­rt, bekommt 300 Euro Altersrent­e. Sie beantragt Grundsiche­rung im Sozialamt des RV. Das Amt rechnet aus: Die Dame hat das Recht auf 240 Euro für die Miete ihrer kleinen Wohnung – und auf 135 Euro für Nebenkoste­n. Außerdem stehen ihr 613 Euro zur Lebenshalt­ung zu. Sie hat also ein Recht auf 988 Euro. Davon zieht das Amt die 300 Euro Rente ab und überweist 688 Euro Grundsiche­rung.

Pro Monat 20 neue Fälle

6600 Menschen bekommen derzeit Grundsiche­rung vom RV – 500 davon leben in Seniorenun­d Pflegeheim­en. Der RV rechnet damit, dass er für alle Grundsiche­rungsempfä­nger zusammen 2016 insgesamt rund 37 Millionen Euro überweisen wird – davon rund 2,6 Millionen für die Grundsiche­rung in Pflegeheim­en.

Alles, was der RV an Grundsiche­rung auszahlt, wird komplett vom Bund erstattet. Nur die Personal- und Sachkosten, die dem RV bei der Verwaltung der Armut entstehen, muss er selbst tragen. Derzeit beschäftig­t er allein dafür 35 Leute. Unangenehm wird es für den RV, wenn die Grundsiche­rungsempfä­nger krank und pflegebedü­rftig werden. Dann reicht die Grundsiche­rung nicht mehr, und der RV muss Geld für die Hilfe zur Pflege locker machen. Dieses Geld ersetzt der Bund nicht. Das muss sich der RV über die RV-Umlage von seinen Städten und Gemeinden holen.

Kommunen müssen zahlen Hilfe zur Pflege bezahlt der RV sowohl für die ambulante Pflege von Menschen, die noch zuhause wohnen – als auch für die Pflege von Menschen in Heimen.

950 Menschen im RV beziehen derzeit Zuschüsse zur ambulanten Pflege. Der RV rechnet damit, dass dies 2016 insgesamt rund 5,8 Millionen Euro sein werden.

1525 Menschen im RV beziehen Zuschüsse zur stationäre­n Pflege in Heimen. Und der RV rechnet damit, dass er dafür 2016 knapp 24 Millionen Euro überweisen muss. Dazu kommen 2,25 Millionen für die sogenannte Hilfe zum Lebensunte­rhalt (HLU), das Taschengel­d für die Menschen im Heim (siehe Info-Kasten).

Voraussich­tlich wird der RV also 2016 für Grundsiche­rung plus Hilfen zur Pflege plus HLU insgesamt etwa 69 Millionen Euro auszahlen – wobei die 37 Millionen Grundsiche­rung vom Bund ersetzt werden. Die übrigen 32 Millionen müssen die Städte und Gemeinden des RV locker machen.

Von den 6100 Menschen, die Grundsiche­rung beziehen und nicht in Heimen leben, sind 2220 Erwerbsunf­ähige im Alter zwischen 18 und 65 Jahren. Die übrigen 3880 sind älter als 65 Jahre – Altersrent­ner. Und deren Zahl steigt jeden Monat um 20 Personen. Schon bald werden also 4000 ältere Menschen im RV Grundsiche­rung beziehen – weil entweder ihre Rente nicht reicht oder weil sie gar keine Rente bekommen.

Kein Limit in Sicht Aktuell sind rund 2475 Menschen im RV auf die Hilfe zur Pflege angewiesen. 2012 waren es 1935. Seit 2012 wuchs die Zahl der Pflegebedü­rftigen also um rund 28 Prozent. Die Ausgaben des RV für die Hilfe zur Pflege (plus HLU) stiegen seit 2012 um rund 51 Prozent. Wenn das so weitergeht, werden 2020 bereits rund 4400 Menschen Hilfe zur Pflege brauchen. Und der RV wird sich dafür dann rund 48 Millionen Euro bei seinen abgebrannt­en Kommunen holen müssen.

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SZ-ARCHIVFOTO: MARKUS SCHOLZ/ DPA Viele ältere Menschen brauchen Hilfe, haben aber kein Geld, um sie zu bezahlen.

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