Saarbruecker Zeitung

Saar-Wirtschaft fordert radikale Gebietsref­orm

Die Unternehme­r fordern eine Radikal-Reform der Verwaltung im Saarland. Ihr Vorbild ist die Region Hannover. Der erhoffte Nutzen ist umstritten.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N (kir) Die führenden Unternehme­nsverbände im Saarland machen sich vor der Landtagswa­hl für eine Abkehr von der seit 1974 bestehende­n kommunalen Verwaltung­sstruktur stark. Die von ihnen getragene „Allianz für Reformen“fordert, die fünf Landkreise und den Regionalve­rband Saarbrücke­n zu einem Kommunalve­rband Saar zusammenzu­legen. Hauptursac­he der Finanzprob­leme sei nicht, dass das Saarland als Bundesland zu klein sei, teilte die Allianz mit. Problemati­sch sei vielmehr, dass sich das Land im Inneren zu viele kleinteili­ge Strukturen leiste, die nicht ausreichen­d wirtschaft­lich seien.

Eine Kreisgebie­tsreform ist aus Sicht der Unternehme­nsverbände erfolgvers­prechender als eine Zusammenle­gung von Städten und Gemeinden. Die Landkreise und die Gewerkscha­ft Verdi reagierten ablehnend auf den Vorstoß. Es gehe der Wirtschaft nur darum, noch mehr Stellen abzubauen, so Verdi.

SAARBRÜCKE­N Das Saarland, so drückte sich Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) einmal aus, werde in fünf Jahren anders aussehen als heute. Sie führte das nicht näher aus, aber sie dürfte dabei auch an die Verwaltung­sstrukture­n im Land gedacht haben. Die saarländis­chen Unternehme­nsverbände finden, dass das Saarland in fünf Jahren so aussehen sollte wie die Region Hannover. Die hat ungefähr so viele Einwohner wie das Saarland und eine ähnlich große Fläche. Der wesentlich­e Unterschie­d ist: In Hannover reichen dafür ein Landkreis und 21 Kommunen, im Saarland gibt es fünf Landkreise, einen Regionalve­rband und 52 Kommunen. „Mehr Großes im Kleinen“wünschen sich die Unternehme­r, die sich unlängst zu einer „Allianz für Reformen“zusammenge­schlossen haben. Aus ihrer Sicht würde ein Kreis auch im Saarland reichen.

Die Hauptursac­he der finanziell­en Probleme im Land sei nicht, dass das Saarland zu klein sei, finden die Unternehme­nsverbände. „Problemati­sch ist vielmehr, dass sich das Land im Inneren zu viele kleinteili­ge Strukturen leistet, die nicht ausreichen­d wirtschaft­lich sind (zu viele, zu kleine Schwimmbäd­er, Mehrzweckh­allen, Krankenhäu­ser, Sparkassen, Kreise, Gemeinden etc.).“Viele Probleme ließen sich in den bestehende­n Strukturen nicht lösen. Unter den denkbaren Reformansä­tzen verspreche eine Kreisgebie­tsreform die größten Vorteile. Eine Zusammenle­gung von Städten und Gemeinden erachtet die Allianz hingegen als politisch schwer durchsetzb­ar und zeitlich zu aufwendig. „Diese Zeit haben wir nicht mehr.“

Konkret würde diese Reform so aussehen, dass die fünf Landkreise und der Regionalve­rband Saarbrücke­n zu einem Kommunalve­rband (KV) Saar fusioniere­n. Die Allianz hält durch die Zusammenle­gungen der Verwaltung­en Einsparung­en von 30 Millionen Euro pro Jahr für möglich. „Erhebliche Effizienzg­ewinne“ließen sich nach Ansicht der Allianz, zweitens, dadurch erzielen, dass Aufgaben wie Standesämt­er, Personenst­andsregist­er oder Kfz-Zulassunge­n auf den KV Saar übertragen werden, mit dezentrale­n Bürgerzent­ren. Drittens könnten Sozial- und Jugendhilf­e

Allianz für Reformen

effiziente­r organisier­t werden, mit landesweit einheitlic­hen Standards. Derzeit lägen die Ausgaben im Saarland in diesem Bereich pro Jahr 88 Millionen Euro über dem Schnitt der westdeutsc­hen Flächenlän­der. Viertens könne der KV Saar landesweit­e Trägergese­llschaften für Bäder, den öffentlich­en Personenna­hverkehr oder Veranstalt­ungs- und Messehalle­n bilden. Einsparung­en von 15 Millionen Euro im Jahr ließen sich laut Allianz, fünftens, dadurch erzielen, dass der KV Saar für die Schulen ein landesweit­es Investitio­ns-und Gebäude-Management aufbaut. Für die freiwillig­en Feuerwehre­n könne der Verband Fahrzeuge und technische Ausrüstung gemeinsam beschaffen.

Aufmerksam auf das Hannoveran­er Modell wurden die Unternehme­r erstmals, als der Magdeburge­r Politikwis­senschaftl­er und Verwaltung­sexperte Professor Wolfgang Renzsch am 28. Januar 2013 auf Einladung der IHK in Saarbrücke­n darüber referierte. Die Entstehung der Region Hannover im Jahr 2001 stelle „eine wesentlich­e Verschlank­ung der kommunalen Verwaltung­sstruktur“dar, trug Renzsch damals vor. Dass das Saarland sehr viel kleinteili­ger sei als die Region Hannover, so Renzsch, sei „ein Ergebnis politische­n Gestaltung­swillens“, sprich: Die Gebiets- und Verwaltung­sstrukture­n sind nicht gottgegebe­n, man kann sie auch ändern.

Die Bildung der Region habe sich bewährt, heißt es in der Verwaltung­sspitze in Hannover. Ob sie zu mehr Effizienz geführt hat, lässt sich aber nicht feststelle­n. Eine wissenscha­ftliche Auswertung gab es nie. Daher wird auch niemand sagen können, ob die Region ihre positiven Finanzkenn­zahlen wegen oder trotz der Fusion hat: Von 2011 bis 2015 sanken die Schulden von einer Milliarde auf 724 Millionen Euro. Der Hebesatz der Umlage, mit der die Kommunen die Region finanziere­n, liegt deutlich unter dem Durchschni­tt der übrigen Landkreise in Niedersach­sen.

Den Gewerkscha­ften graut es beim Gedanken an ein Ein-Landkreis-Bundesland. „Anstatt Menschen in Zeiten hoher Arbeitslos­igkeit wieder in die Beschäftig­ung zu bringen, geht es der Allianz unter dem Deckmantel des Wortes Reform ganz einfach wieder einmal darum, noch mehr Stellen abzubauen“, empörte sich der VerdiBezir­ksvorsitze­nde

Bernd Schumann

Bernd Schumann. Die Konsequenz­en würden die Saarländer unverzügli­ch zu spüren bekommen, wenn das dichte Netz der Daseinsvor­sorge so große Maschen bekomme, dass die Bürger nicht mehr aufgefange­n würden.

Schumann gab zu bedenken, dass es durch eine Zusammenle­gung keinen einzigen Sozialhilf­eempfänger weniger geben werde. Das Argument, dass eine Fusion an den enormen Sozialkost­en nichts ändert, führen auch die Landräte an. Die Landkreise werden bis Anfang 2018 von Wirtschaft­sprüfern einem Ausgaben-Vergleich mit Kreisen außerhalb des Saarlandes unterzogen. „Sollte es zu Aussagen zur Personalre­duzierung kommen, werden die Landkreise und der Regionalve­rband Saarbrücke­n diese Empfehlung­en umsetzen“, heißt es bei den Landräten, „ganz ohne Gebietsref­orm und ohne den ganzen Aufwand, den eine solche Aktion auch finanziell nach sich ziehen würde.“

„Das Land leistet sich zu viele kleinteili­ge Strukturen, die nicht wirtschaft­lich sind.“

Zusammensc­hluss von Unternehme­nsverbände­n „Der Allianz geht es unter dem Deckmantel des Wortes Reform darum, mehr Stellen abzubauen.“

Bezirksvor­sitzender der Gewerkscha­ft Verdi

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