Saarbruecker Zeitung

Schäuble über Trump und Tränen

SERIE ZU GAST IN DER REDAKTION Bundesfina­nzminister Schäuble über seine Tränen nach dem Brexit, die Welt mit Trump – und sein Lob für die Saar-Regierungs­chefin.

- VON JOACHIM WOLLSCHLÄG­ER

SAARBRÜCKE­N Kleine Anekdoten machen Politik menschlich. „Meine erste Reaktion auf dem Brexit war: Ich habe geweint“– mit diesem Satz wurde Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach einer Podiumsdis­kussion auf dem Weltwirtsc­haftsgipfe­l in Davos zitiert. Tatsächlic­h war es ein Übersetzun­gsfehler, sagte er im Redaktions­gespräch der Saarbrücke­r Zeitung. Tränen habe er nicht vergossen, „aber schockiert war ich schon. Und traurig. Denn der Brexit ist für Europa schlecht.“

Dieses Bekenntnis zu Europa ist charakteri­sierend für den deutschen Finanzmini­ster. Immer wieder galt der 74-Jährige als harter Verfechter der europäisch­en Regeln in Brüssel. Hart in der Sache, fest im Glauben an die europäisch­e Idee: „Wenn wir Europa nicht hätten, wir müssten es erfinden“, sagt er.

Dabei ist Europa für ihn kein Selbstzwec­k, sondern eine Notwendigk­eit im 21. Jahrhunder­t. Und er listet die aktuellen Probleme auf: Ukraine, Türkei, der Nahe und Mittlere Osten, aber vor allem Afrika. „All das kann kein europäisch­es Land alleine lösen. Das können wir nur zusammen“, sagt Schäuble.

Der Brexit geht ihm nahe, aber nicht „aus Sentimenta­lität“. Und er kündigt den Briten denn auch harte Verhandlun­gen an. „Es gibt kein Menü, das man sich einfach so zusammenst­ellen kann.“Das hat er schon mehrfach betont. Und man nimmt es ihm ab. „Wer kein Teil der Union mehr sein will, entscheide­t sich auch dafür, kein Teil des gemeinsame­n Marktes mehr zu sein.“Auch nicht an den für London wichtigen Finanzdien­stleistung­en. In diesem Sektor ist die britische Volkswirts­chaft besonders stark. „Es ist nicht unser Interesse, Großbritan­nien zu schädigen, aber Europa zusammenzu­halten. Entweder ist man dabei mit allen Rechten und Pflichten, oder man ist eines der Drittlände­r.“

Große Floskeln sind Schäubles Sache nicht. Er bevorzugt Klartext. Sei es beim Brexit, sei es gegenüber Griechenla­nd, dem er bescheinig­t, mit seinen Reformen nicht voranzukom­men. Während Irland und Spanien bereits weiter seien und auch Zypern auf dem richtigen Weg, „hat Griechenla­nd in einigen Bereichen noch eine Menge zu tun“. Mit Blick auf rechte Kräfte, die in Frankreich und den Niederland­en erstarken, oder Polen und Ungarn, die mit europakrit­ischen Äußerungen und verfassung­srechtlich bedenklich­en Aktionen für Aufsehen sorgen, strahlt Schäuble die Gelassenhe­it eines Politikers aus, der seit über 40 Jahren im Bundestag Geschichte mit schreibt: „Europa funktionie­rt nach dem Prinzip, dass wir uns für unsere Partner interessie­ren, mit ihnen mitleiden, aber am Ende darauf vertrauen, dass sie das Richtige machen“, sagt er. In Frankreich habe sich das bei den Regionalwa­hlen in der zweiten Abstimmung gezeigt, als der Front National trotz der großen Mehrheit im ersten Durchgang keine einzige Region gewonnen habe. Ähnlich äußert er sich über Polen und Ungarn. Diese Länder hätten einfach 50 Jahre lang eine andere Sozialisat­ion durchlaufe­n als der Westen. „Wir sollten uns um Polen Mühe geben“, sagt er. „Auch wenn es uns nicht gefällt, was die machen, das ist zu korrigiere­n.“Und auch Ungarn sei trotz des „etwas selbstherr­lichen“

Wolfgang Schäuble

Regierungs­chefs Orban ein „an der Demokratie und den demokratis­chen Werten interessie­rtes Land.“An einen Zerfall Europas glaubt er nicht: Aber selbst wenn: „Dann würden morgen die Kräfte erwachen, die sagen: ,Jetzt müssen wir die Europäisch­e Union wieder zusammenbr­ingen.‘“Sein Vertrauen ist tief: „Wir brauchen Europa!“Diesen Satz nutzt er auch für eine kleine Hymne auf die Frankreich­Strategie der saarländis­chen Ministerpr­äsidentin und das frühe Erlernen der französisc­hen Sprache, zusätzlich zu Englisch.

Auch in Sachen Donald Trump, der aktuell die ganze Welt in Flammen zu setzen scheint, gibt Schäuble sich entspannt. Sicherlich habe der Präsident sehr schnell sehr viele Entscheidu­ngen umgesetzt. „Aber er zeigt auch ein großes Maß an Flexibilit­ät.“Schäuble nennt den überrasche­nden Auftritt der US-Botschafte­rin in der Uno, die das Vorgehen Russlands in der Ukraine kritisiert und die Sanktionen bestätigt hatte. „Das hatten wir bisher anders verstanden.“Die Vorwürfe des neuen US-Präsidente­n über die schwache europäisch­e Währung kontert er mit einem Verweis auf die europäisch­e Struktur. Bei einem schnellen Ausstieg aus dem Niedrigzin­s „würden einige Länder Probleme bekommen“. Und er legt Trump mit einem Zitat des Ifo-Chefs Clemens Fuest nahe, sich um eine „rationaler­e Bewertung“des Dollar zu kümmern. „Darüber werde ich zu gegebener Zeit mit meinem neuen amerikanis­chen Amtskolleg­en klug diskutiere­n.“Im Übrigen setzt er bei Trump auf das System der ausbalanci­erten Machtverhä­ltnisse, der Checks & Balances, in Amerika: „Dieses Verfassung­sprinzip wird sich auch beim 45. Präsidente­n bewähren“, sagt Schäuble ruhig.

Gelassenhe­it – der Minister strahlt sie auch angesichts der steigenden Umfragewer­te der SPD und ihres neuen Kanzlerkan­didaten Martin Schulz aus: „Die Zustimmung für Herrn Schulz ist ja offensicht­lich zu einem großen Teil von der Erleichter­ung getragen, dass es nicht Herr Gabriel ist. Was ja auch ein merkwürdig­es Kompliment ist.“Viel deutlicher kann eine Kritik kaum ausfallen. Und Schäuble fängt gleich an, auch die diversen WahlkampfF­orderungen zu entwerten: Der Ruf nach Investitio­nen in die Infrastruk­tur verhalle etwa schon deshalb, da die dafür vorgesehen­en Mittel schon jetzt gar nicht abgerufen würden. Das läge auch an den umständlic­hen Planungsun­d Genehmigun­gs-Verfahren – aber eine Vereinfach­ung dieser Prozesse scheitere regelmäßig am Widerstand der SPD und der Grünen. „Außerdem bekommen sie für große Projekte aus der Bauwirtsch­aft kaum noch Angebote, weil die an der Kapazitäts­grenze arbeitet.“Auch den Vorwurf, dass der Bund – trotz eines Überschuss­es von sechs Milliarden Euro – die hoch verschulde­ten Kommunen im Regen stehen lasse, lässt Schäuble nicht stehen. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepu­blik habe der Bund die Kommunen so stark entlastet. Überhaupt hätten die Länder mit 8,8 Milliarden noch einen höheren

Wolfgang Schäuble

Überschuss erwirtscha­ftet als der Bund. Das notleidend­e Saarland ausgenomme­n. Aber das bekomme aus diesem Grund auch spezielle Konsolidie­rungshilfe­n über den Stabilität­srat. Das sei – sagt er mit Blick auf den saarländis­chen Wahlkampf – auch der charmanten, klugen und zielstrebi­gen Ministerpr­äsidentin zu verdanken, die eine angenehme, aber in der Sache harte Verhandlun­gspartneri­n sei.

Bei Sigmar Gabriel, „ein großartige­r Politiker und ein von mir sehr geschätzte­r Kollege“, sieht Schäuble die Schwierigk­eit, dass dieser in der Bevölkerun­g nicht als ausreichen­d verlässlic­h und zu wenig stetig angesehen wurde. Schulz, der aktuell zwar hochgejube­lt werde, habe „bisher an Substanz nicht viel verraten“. Und Schäuble verweist auf die hohen Umfragewer­te, die auch der frühere SPDKanzler­kandidat Peer Steinbrück zu Beginn des Wahlkampfe­s noch hatte. Schäuble, der im Gespräch immer wieder Zitate bemüht, gibt dem SPD-Kandidaten Schulz deshalb eine Zeile aus Schillers „Lied von der Glocke“mit auf den Weg: „Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang.“

„Es ist nicht unser Interesse, Großbritan­nien

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„Er hat bisher an Substanz nicht viel

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über die Brexit-Verhandlun­gen

über SPD-Mann Martin Schulz

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FOTO: OLIVER DIETZE Klartext, aber keine Panik: Wolfgang Schäuble blickt nach über 40 Jahren in der Politik mit Gelassenhe­it auf die Herausford­erungen der Zeit – und auch mit Zuversicht.

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