Saarbruecker Zeitung

Ein (Ausrufe-)Zeichen für Solidaritä­t und gegen Abschottun­g

160 000 Menschen demonstrie­ren in Barcelona gegen die restriktiv­e Asylpoliti­k Spaniens – und Krisen-Zustände an seinen Grenzen.

- VON RALPH SCHULZE

BARCELONA Es war wohl eine der größten Kundgebung­en für die Aufnahme von Flüchtling­en, die Europa bisher gesehen hat. „Willkommen, Flüchtling­e“, stand in mehreren Sprachen auf Transparen­ten. Und: „Macht die Grenzen auf.“Rund 160 000 Menschen demonstrie­rten nach Polizeiang­aben in der nordspanis­chen Mittelmeer­stadt Barcelona für mehr Großzügigk­eit bei der Aufnahme von Zufluchtsu­chenden. Der Protestmar­sch stand unter dem Motto „Unser Haus ist euer Haus!“

Die am Protest teilnehmen­den Hilfsorgan­isationen warfen Spaniens Regierung vor, ihre EU-Verpflicht­ungen in der Flüchtling­spolitik nicht zu erfüllen. Die spanische Regierung praktizier­e eine Abschrecku­ngs- und keine Willkommen­skultur, hieß es. „Es reicht mit den Ausreden, wir wollen Menschen aufnehmen“, riefen die Demonstran­ten.

Barcelonas linksalter­native Bürgermeis­terin Ada Colau, die an der Kundgebung teilnahm, beklagt seit längerem, dass Spaniens konservati­ver Regierungs­chef Mariano Rajoy bei der Flüchtling­spolitik mauere. Barcelona, Metropole der Region Katalonien, habe Unterkünft­e und Hilfen bereitgest­ellt, die aber nicht ausreichen­d genutzt würden, da kaum Flüchtling­e ankommen. In Madrid und anderen Städten sieht es ähnlich aus. Um ein Signal der Solidaritä­t zu setzen, hatte Colau ein „Netzwerk der Flüchtling­sstädte“ins Leben gerufen, dem sich viele spanische Gemeinden anschlosse­n.

Das Königreich Spanien hat in der Tat nicht den Ruf, Flüchtling­e mit offenen Armen zu empfangen: Die konservati­ve Regierung in Madrid betreibt eine sehr harte Aufnahme- und Asylpoliti­k. Nach dem EU-Umverteilu­ngsplan soll Spanien bis Herbst 2017 nahezu 18 000 Flüchtling­e aufnehmen, die in Griechenla­nd oder Italien gestrandet sind. Bisher nahm das spanische Königreich jedoch nur etwas mehr als 1000 Menschen über dieses Programm auf.

Auch das Asylrecht wird in Spanien sehr restriktiv gehandhabt. 70 Prozent aller Asylanträg­e in Spanien würden abgelehnt, kritisiert­en Hilfsorgan­isationen. Die Zustände in den Aufnahmela­gern in den spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla seien menschenun­würdig, rügt das Flüchtling­shilfswerk UNHCR.

Zufluchtsu­chende könnten in Spanien nicht mit nennenswer­ten finanziell­en Hilfen oder einer dauerhafte­n Unterkunft rechen, heißt es weiter. All dies führt offenbar dazu, dass die meisten Asylsuchen­den Spanien nur als Durchgangs­land sehen. 2016 gingen in Spanien nur etwa 17 000 Asylanträg­e ein.

An den Grenzen Ceutas und Melillas sollen zudem immer wieder fragwürdig­e Express-Abschiebun­gen stattfinde­n. Flüchtling­e, die den Grenzzaun überwinden, würden oft umgehend wieder auf die marokkanis­che Grenzseite deportiert ohne mögliche Asylgründe zu prüfen, lautet der Vorwurf. Am Freitag hatten rund 500 Migranten von Marokko aus den Grenzzaun Ceutas gestürmt und es auf spanischen Boden geschafft.

Hilfsorgan­isationen berichten zudem, dass syrische Flüchtling­e von marokkanis­chen Grenzern festgehalt­en werden und nur in sehr kleinen Gruppen und gegen Schmiergel­d zu den offizielle­n spanischen Grenzüberg­ängen in Ceuta und Melilla durchgelas­sen werden. Möglicherw­eise, so vermuten Menschenre­chtler, weil Spanien heimliche Absprachen mit Marokko getroffen habe, um den Ansturm zu bremsen.

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FOTO: DPA Zehntausen­de zogen am Samstag durch Barcelona und forderten eine humanere Asylpoliti­k.

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